Im Herbst wählen die Hessen. CDU-Mann Boris Rhein möchte Regierungschef bleiben. Auch die Grünen rechnen sich Chancen aus, Bundesinnenministerin Faeser könnte für die SPD antreten.
Im Wahljahr liegt es für Regierungschef Boris Rhein (CDU) nahe, seine Amtsführung vor allem unter taktischen Aspekten zu gestalten. So kann und darf Rhein dies als Chef der regierenden schwarz-grünen Koalition natürlich niemals formulieren.
Aber der Ministerräsident agiert seit Monaten, als bereite er sich schon auf Koalitionsverhandlungen vor. Aus Partnern werden sehr bald scharfe Konkurrenten: Es gilt als sicher, dass Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir einer der beiden grünen Spitzenkandidaten wird.
Al-Wazir will Chance nutzen
Al-Wazir hat mit seinen Kabinettskolleginnen und -kollegen in zwei schwarz-grünen Legislaturen viele grüne Inhalte umsetzen können, ist aber auch seiner Rolle als Vize-Regierungschef erkennbar überdrüssig. Er will seine Chance nutzen, grüner Ministerpräsident zu werden. Die persönlichen Umfragewerte sind gut, die seiner Partei schwächeln etwas mit dem Bundestrend.
Ernsthafte Konkurrenz droht Rhein auch aus der SPD, wenn die einen überzeugenden Spitzenkandidaten oder eine solche Spitzenkandidatin ins Rennen schickt. In Ermangelung von Alternativen wird diese Rolle Bundesinnenministerin Nancy Faeser zufallen. Sie ist SPD-Landesvorsitzende, hat durch das überraschend gewonnene Amt in Berlin erheblich an Prominenz gewonnen und könnte dadurch ihrer seit 24 Jahren in der Opposition darbenden Partei neuen Mut einhauchen.
In vier Bundesländern wird 2023 gewählt – darunter auch in Bayern. "Die Wahlen in Hessen und Bayern sind besonders spannend", so Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.
Faeser könnte vor schwieriger Entscheidung stehen
Erfolgversprechend kann dies aber nur sein, wenn Faeser auch weiterhin Bundesinnenministerin bleibt. Was sie dann aber auch erheblichem politischen Druck - bliebe sie auch als Oppositionsführerin in Hessen - und einer großen zusätzlichen persönlichen Belastung aussetzen würde.
Mehrere Zweier- und Dreier-Koalitionsmodelle sind also denkbar, und dies wird das politische Handeln und Taktieren der kommenden Monate bestimmen.
Boris Rhein muss einen Drahtseilakt schaffen
Die schwierigste Aufgabe fällt dabei Boris Rhein zu. Will er Ministerperäsident bleiben, muss er sich und die Union weiter profilieren, ohne den grünen Koalitionspartner zu düpieren. Er muss sich Optionen offenhalten und politische Gräben einebnen, damit sie nicht möglichen späteren Verhandlungen im Wege sind.
Er muss mit einer SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser umgehen lernen, die er aus vielerlei Gründen nicht scharf attackieren kann. Ein diplomatischer und politischer Drahtseilakt: Sollte Faeser wirklich kandidieren und parallel Bundesinnenmisterin bleiben, wäre sie eine wichtige Ansprechpartnerin in verschiedenen Belangen der Landesregierung. Insofern sollte Rhein es sich mit ihr besser nicht verscherzen.
Wie der Drahtseilakt gelingen kann, zeigt etwa die posthume Ehrung des legendären Frankfurter Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, des Anklägers der Auschwitz-Prozesse, mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille im Dezember. Die höchste Auszeichnung des Landes wird direkt vom Ministerpräsidenten vergeben. Bauer war SPD-Mitglied.
Für die Grünen kommt es auf Al-Wazir an
Die Grünen werden auf die Beliebtheit ihrer Spitzenkraft Al-Wazir vertrauen - und auf Rückenwind aus Berlin. Trotz aller Koalitionstreue zur CDU: Ermüdungserscheinungen sind unverkennbar, die athmosphärischen Störungen waren zuletzt beim Thema Vorratsdatenspeicherung zutage getreten.
Politische Bündnisse ohne die Union wären denkbar mit SPD und der FDP, die mit einem neuen Spitzenkandidaten ins Rennen geht. Stefan Naas von der FDP will gerne der nächste hessische Wirtschaftsminister werden, und greift Al-Wazir auf diesem Feld beherzt und überaus selbstbewusst an.
Janine Wissler fehlt der Linken in Hessen
Die Linken in Hessen haben die Lücke, die ihre Galionsfigur Janine Wissler hinterlassen hat, nicht schließen können. Für den Ausgang von Landtagswahlen sind zwei Faktoren mit entscheidend: die Persönlichkeit und Bekanntheit der Spitzenkandidaten und der Bundestrend.
In Hessen sieht es nach einem Dreier-Rennen um die Spitze aus, und die Koalitionssuche danach wird vor allem dann spannend, wenn die Liberalen es im Herbst wieder in den Landtag schaffen.
Peter Wagner leitet das ZDF-Landesstudio Hessen.
- Bouffier hinterlässt kein leichtes Erbe
Wechsel in Hessen: Volker Bouffier (CDU), dienstältester Ministerpräsident, geht gerade noch rechtzeitig, damit sich Nachfolger Boris Rhein im Amt profilieren kann.