Wechsel in Hessen: Volker Bouffier (CDU), dienstältester Ministerpräsident, geht gerade noch rechtzeitig, damit sich Nachfolger Boris Rhein im Amt profilieren kann.
Fast zwölf Jahre hatte Volker Bouffier das Amt inne, heute wählt der hessische Landtag in Wiesbaden einen neuen Ministerpräsidenten. Nachfolger soll Landtagspräsident Boris Rhein werden.
Wenn alles, wie sorgfältig geplant in der politisch schwarz-grünen Koalition abgestimmt, läuft, dann wird heute Boris Rhein (CDU) zum neuen Ministerpräsidenten Hessens gewählt. Der 50-Jährige braucht 69 Stimmen im Landtag - exakt so viele, wie Schwarz-Grün zusammen auf die Waage bringt. Eine Wahl angesichts des Ein-Stimmen-Vorsprungs ist immer ein Risiko, doch sowohl die Grünen-Fraktion als auch die der CDU glauben fest an den Erfolg.
Volker Bouffier folgte auf Roland Koch
Mit Volker Bouffier geht ein Politiker, der zu den herausragenden Gestalten der Hessen-CDU neben Alfred Dregger und Roland Koch gehört. Letzterer hatte Bouffier 1999 zu seinem Innenminister gemacht. 2010 wird Bouffier dessen Nachfolger als CDU-Chef und Ministerpräsident. Der Innenpolitiker Bouffier gilt als "law-and-order"-Mann. [Kein Ministerpräsident ist länger im Amt - ein Porträt.]
Es folgt der Imagewechsel: Bouffier, der Landesvater, in letzter Zeit gerne auch mit großväterlicher Attitüde. Überrascht schauen viele auf Bouffier und seine politische Kunst, als der vermeintlich Erzkonservative, der sich erbitterte parlamentarische Schlachten mit Tarek Al-Wazir geliefert hatte, mit eben diesem und dessen Grüner Partei 2013 eine Koalition schließt. Nach dem äußerst knappen Wahlergebnis von 2018 folgt die Neuauflage. Schwarz-Grün funktioniert nach wie vor, der Elan scheint nach fast neun Jahren reduziert.
2019 erkrankte Bouffier an Krebs
2019 macht Bouffier seine Hautkrebserkrankung öffentlich, die Folgen der Therapie sind körperlich offensichtlich, und nicht nur Parteifreunde fragen sich: Warum tut Bouffier sich das an? Bouffier hatte immer wieder angedeutet, rechtzeitig gehen zu wollen, auch aus Parteiräson. Aber Macht abzugeben ist nicht leicht. Für den späten Zeitpunkt mag auch eine Rolle gespielt haben, dass die Zahl potentieller Nachfolger oder Nachfolgerinnen in der Hessen-CDU klein ist.
Dass die Wahl auf Boris Rhein fällt, ist auch dieser Tatsache geschuldet - und der Art und Weise, wie Rhein zuletzt im Amt des Landtagspräsidenten Ansehen und Sympathien gewonnen hat. Rhein ist 50, gelernter Jurist, verheiratet mit einer Richterin, die beiden haben 19- und elfjährige Söhne. Er war Innenminister, kandidiert 2012 als Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Frankfurt und verliert die Stichwahl gegen den damals unbekannten Peter Feldmann (SPD). [Mehr zum umstrittenen Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann von der SPD.]
Rheins Stern sinkt vorübergehend, in der ersten schwarz-grünen Landesregierung wird er Wissenschaftsminister. Seit der neuen Legislatur ist Boris Rhein Landtagspräsident.
Was sollte Boris Rhein anders machen als Volker Bouffier?
Er verfügt über Humor, geschliffene Rhetorik und einen klaren Blick auf die politische Situation in Hessen und die seiner Partei. Ihm wird nicht entgangen sein, dass die Hessen-CDU kein vielfältiges und buntes Bild abgibt.
Sie muss ihre starken Frauen nach vorne bringen - womit sie begonnen hat - und den erfolgreichen Kommunalpolitikern in OB-Sesseln und Landratsämtern eine größere Partei-Bühne bieten. Vor allem muss sie zeitgemäß und einfallsreich die sozialen Plattformen bespielen.
Rhein muss für Wahlerfolg 2023 Ministerpräsident aller Hessen werden
Inhaltlich will Boris Rhein am 7. Juni in seiner Regierungserklärung die Agenda abstecken. Es gibt bereits Absprachen mit dem grünen Koalitionspartner zu gemeinsamen neuen Schwerpunkten. Folgt man Rheins jüngsten Äußerungen, dann sind ihm gesellschaftlicher Zusammenhalt, klassische Sozialpolitik und die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse besonders wichtig. Im Justizressort wird es wegen andauernder Probleme personelle Änderungen geben, neuer Justizminister soll Roman Poseck (CDU) werden.
Boris Rhein hat kein leichtes Erbe übernommen: Die CDU holte bei der letzten Landtagswahl mit 27 Prozent ihr schwächstes Ergebnis, Grüne und SPD lagen mit jeweils knapp 20 Prozent fast gleichauf. Vom Frankfurter "Rhein-Main-Boris" muss er schnellstens zum Ministerpräsidenten aller Hessen werden, wenn er Chancen auf den Wahlsieg haben will. Ein gutes Jahr Zeit hat er dafür.
Peter Wagner leitet das ZDF-Studio in Wiesbaden