Die Briten übergaben vor 25 Jahren Hongkong an China - mit dem Versprechen auf Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Heute setzt dort Machthaber Xi Jinping seinen Willen durch.
"Keine Atempause, Geschichte wird gemacht." Im Sommer 1990 klang diese Liedzeile aus dem Radio. Der Song fing ein wenig das Lebensgefühl ein. Auch damals sprachen alle von einer Zeitenwende. Die deutsche Einheit, der Zerfall der Sowjetunion, das Ende der Blöcke, der Triumph der Freiheit. Ein berühmter Wissenschaftler sah das Ende der Geschichte gekommen. Der Westen fühlte sich als Sieger.
Nur einen historischen Wimpernschlag später im heute und jetzt wird wieder Geschichte geschrieben. Auf Gipfeln stehen überwiegend Männer auf Gruppenfotos zusammen, Arm in Arm, wie eine Fußballmannschaft beim Elfmeterschießen. Geschlossenheit als Antwort auf eine neue Weltordnung, die so erschreckend der alten gleicht. "Keine Atempause, Geschichte wird gemacht", pfeifen die Weltenlenker von Elmau in jede Kamera und jedes Mikro ihrem Wahlvolk entgegen. Und sie versprechen, am Ende werde die Demokratie triumphieren.
Überschattet von Ukraine-Krieg und Klimakrise geht der G7-Gipfel auf Schloss Elmau zu Ende. Eine Bilanz.
2019 wird zum Schicksalsjahr von Hongkong
Die Vorherrschaft der G7 Staaten war einmal, kontern dagegen die Despoten und Autokraten, die Putins und Xis. Vor allem in Peking sitzt der neue Weltenlenker. Der feiert seinen eigenen Gipfel. Seinen Triumph der Unterdrückung, der Vernichtung der Freiheit und der Hoffnung.
Vor 25 Jahren übergaben die Briten die sogenannte Sonderverwaltungszone Hongkong an China. Ein Land, zwei Systeme versprachen Pekings Machthaber damals. Presse- und Religionsfreiheit, das Recht zu demonstrieren, Rechtsstaatlichkeit - mindestens 50 Jahre sollten diese Rechte in der einstigen britischen Kronkolonie fortbestehen.
Das Jahr 2019 wurde zum Schicksalsjahr für die Stadt. Die Bürger Hongkongs wollten Geschichte schreiben. Und zwar ein Kapitel, dass Hoffnung macht. Sie begehrten gegen den Versuch der Gleichschaltung auf. Zwei Millionen Menschen marschierten durch die engen Hochhausschluchten.
Eine Protest-Bürgerbewegung formierte sich und forderte China heraus. Sie schwenkten die amerikanische, die britische, die deutsche Fahne und die von Europa. Sie glaubten, die freie Welt hinter sich zu haben. Die sendete Solidaradressen und warnte China, Hongkongs Sonderstatus nicht anzurühren.
China ist der größte Handelspartner Deutschlands. Doch Pekings Nähe zu Moskau verstört seit Putins Überfall auf die Ukraine mehr denn je. Welche Folgen drohen für die Beziehungen?
Xi setzt auf Zeit, statt auf Blutvergießen
Der Mann in Peking blieb unbeeindruckt. Er setzte auf Zeit. Xi ist ein Langstreckenläufer der Unterdrückung. Er richtete kein Blutbad an, ließ keine Panzer rollen. Dies wäre zu viel Aufsehen gewesen und hätte vielleicht dann doch Bilder produziert, die die G7-Staaten zum wirklichen Handeln gezwungen hätten.
Stattdessen saugte Xi langsam der Protestbewegung den Sauerstoff ab. Er verhaftete nach und nach Bürgerrechtler, Journalisten, Verleger, steckte dann freigewählte Abgeordnete ins Gefängnis, schaltete die Presse gleich und ließ nur noch sogenannte Patrioten zur Wahl zu.
Ein Land, ein System
Heute ist Hongkong eine ganze normale, chinesische Stadt. Der Aufstand der Jugend gegen die kommunistische Partei bleibt eine Fußnote der Geschichte. In der Stadt herrscht eine Art Friedhofs-Ruhe. Die klügsten Köpfe wie Joshua Wong sitzen im Gefängnis. Seine Stimme hat China zum Schweigen gebracht. Bei unserem letzten Interview sagte er: "Es geht nicht um Hongkong, es geht um die Freiheit auf der ganzen Welt."
Xi weiß das. Er testet permanent den Westen, wie lange der wegschaut. Bei Hongkong tat er es, obwohl Xi sein Versprechen gebrochen hat: Ein Land, ein System heißt es jetzt. Nur das erlaubt Xi in seiner Welt.
Er kämpft für die Demokratie in Hongkong, für eine Zukunft in Freiheit – doch der Aktivist Joshua Wong sitzt nun mit zwei weiteren Aktivisten in Haft.
Xi wird rote Linien des Westens nicht mehr akzeptieren
Geschichte wird gemacht in diesem Tagen. Nur: Es schreiben sehr viele mit und sie schreiben an sehr unterschiedlichen Kapiteln. Xi ist zwar von der Geschlossenheit des Westens seit dem Ukraine-Krieg beeindruckt. Aber er ist wie gesagt ein politischer Langstreckenläufer.
Schaut er auf Joe Biden, sieht er einen US-Präsidenten, dessen Vorgänger versucht hat, die Demokratie abzutreiben. Xi hält es für seinen Vorteil, dass Amerikas größter Feind im eigenen Land sitzt.
Wenn Präsident Xi an den Feierlichkeiten in Hongkong teilnimmt, dann sendet er eine einfache Botschaft an den Westen. "Eure roten Linien akzeptiere ich nicht mehr. Das war einmal." Die neue Weltordnung soll chinesisch sprechen. Keine Atempause - Geschichte wird gemacht.