Gauck bei "illner": "Menschen haben Angst vor der Moderne"

    Joachim Gauck bei "illner":"Die Menschen haben Angst vor der Moderne"

    von Torben Schröder
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    "Reichsbürger" und "Klima-Kleber" sind für Alt-Bundespräsident Gauck keine Bedrohung der Demokratie. Grüne-Jugend-Chefin Heinrich hebt die Motive der "Letzten Generation" hervor.

    Umsturzpläne bei den "Reichsbürgern", tägliche Protest-Aktionen der "Letzten Generation". Dazu, wie Moderatorin Maybrit Illner in ihrer ZDF-Sendung sagt, 44 Prozent der Bevölkerung, die grundsätzlich nicht zufrieden sind mit dem, was die demokratische Gesellschaft ihnen ermöglicht.
    "Ein Jahr der Krisen - Angst vor der Zeitenwende?" lautete das Thema der letzten Sendung vor der Winterpause und in gewisser Weise auch die Überschrift über dem Jahr 2022.

    Fülle von Veränderungsfaktoren versetzt Menschen in Angst

    Wenn Angst herrscht, hätten es die Populisten einfacher und rationale Politik es schwerer, sagt Bundespräsident a.D. Joachim Gauck. Weniger eine sozial begründete, sondern eine kulturelle und politische Verunsicherung habe viele Menschen erfasst.
    "Das hängt damit zusammen, dass eine Fülle von Veränderungsfaktoren Menschen in Angst versetzt hat", sagt Gauck mit Blick auf Globalisierung und Migration, die technologische Entwicklung und die multiplen Krisen.

    Die Menschen haben letztlich Angst vor der Moderne und der offenen Gesellschaft.

    Joachim Gauck, Bundespräsident a.D.

    Am Beispiel Zuwanderung benennt Gauck einen gesellschaftlichen "Kipp-Punkt", ab dem die Gefahr bestehe, dass radikale Kräfte politische Macht erlangen.
    Die Energiepolitik der Bundesregierung sieht Gauck positiv: "Das ist ja kein Land der Kälte." Die Menschen müssten nicht frieren, die Speicher seien voll. "Es gibt ja sogar Geld für Leute, die es nicht brauchen."

    Gauck: "Letzte Generation" keine Bedrohung

    Kritisch sieht Gauck Stimmen aus den Unionsparteien in Richtung der "Letzten Generation", in denen von einer "Klima-RAF" die Rede ist. "Das ist keine Bedrohung der Gesellschaft." Allerdings sei die Protestform offenkundig wenig geeignet, Sympathien zu wecken.
    Gauck sieht eine mögliche "Gefährdung des Rechts von unten": "Es ist eine gefährliche Entscheidung, die persönliche Moral über das zu stellen, was das Gemeinwesen gesetzlich normiert hat."

    Heinrich: Viele junge Menschen verzweifelt

    "Man kann darüber reden, ob man diese Form des zivilen Ungehorsams strategisch klug findet für die Sache", sagt Sarah-Lee Heinrich, Bundesvorsitzende der Grünen Jugend: "Es sind auch viele junge Menschen, die vor allem gerade verzweifelt sind."
    Illners Frage zur Beurteilung der Straftaten der Aktivisten umschifft Heinrich. Die Gesellschaft solle lieber über die Anliegen sprechen. Die Verzweiflung der Aktivisten könne sie sehr gut verstehen.

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    Klima-Kleber ein Thema, "Reichsbürger" ein ganz anderes

    "Eine Demokratie, die funktioniert, hält auch das aus", sagt der ZDF-Journalist Claus Kleber. "Ich finde diese Protestform nicht besonders sinnvoll, aber ich kann die Jugendlichen gut verstehen", sagt die Historikerin Hedwig Richter. Man tue so, als wäre das Problem die "Letzte Generation" und nicht der Umgang mit dem Klima.
    Ein, wie Gauck betont, gänzlich anderes Thema seien die Umsturzpläne der "Reichsbürger". Eine Demokratie müsse lange zuschauen und Dummheit ertragen, sich aber auch wehren, wenn sie angegriffen zu werden drohe. Dass auch Akademiker unter den Verschwörern sind, beunruhigt Gauck nicht:

    Sie werden niemals eine Bewegung haben, die nur aus Tölpeln besteht.

    Joachim Gauck, Bundespräsident a.D.

    Seine These: "Wir haben eine überaus stabile Mitte. Das merken wir am Wahlverhalten und der Kraft unserer Zivilgesellschaft."

    Kleber: "Reichsbürger" Entwicklung mache nachdenklich

    "Ich kann mir nicht vorstellen, dass aus diesem Haufen irgendetwas Geordnetes, Gefährliches für unsere Ordnung entsteht", sagt Kleber, "aber es brauchte auch keine gefährliche Organisation, um Walter Lübcke zu töten." Eine solche Entwicklung mache nachdenklich.
    "Unsere Demokratie ist sehr, sehr stabil", betont Richter, "die große Frage ist jetzt, wie wir die Transformation hinbekommen und gleichzeitig frei bleiben." Kleber lenkt den Blick Richtung Außen- und Sicherheitspolitik. Die Nachkriegsordnung sei weggebrochen, autoritäre Systeme würden aufsteigen. "Ich sehe die Bereitschaft nicht, sich auf diese Herausforderung einzulassen."

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