Zwei Stunden haben sie geredet: Politik, Gewerkschaften, Wirtschaft. Was tun gegen die hohen Preise? Man ist sich einig, dass es ein Problem gibt. Eine Lösung? Erst im Herbst.
Über die steigenden Preise infolge der Inflation und entsprechende Entlastungen beraten heute Arbeitnehmer, Arbeitgeber und die Regierung bei einer "konzertierten Aktion".
Nein, ein "Zauberworkshop", wie SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert vorher schon vermutet hatte, war es wohl tatsächlich nicht. Gut zwei Stunden hat das Auftakttreffen zur Konzertierten Aktion am Montag gedauert. Die kurze Pressekonferenz am Ende zeigt: Alle Probleme sind noch da.
Das Ziel des Treffens von Politik, Gewerkschaften, Wissenschaft und Arbeitgebern: Strategien entwickeln, wie Einkommensverluste abgemildert oder verhindert werden könnten. Konkret: Wie sich trotz steigender Preise der Lebensstandard halten lässt. Fragt sich nur noch, wie. Viel Erhellendes brachte das erste Treffen nicht. Jedenfalls nicht öffentlich.
Bundeskanzler Scholz hat heute zu einer "Konzertierten Aktion" eingeladen, um über Entlastungen zu beraten. ZDF-Korrespondent Theo Koll berichtet aus Berlin zu den Lösungsansätzen.
Scholz: "Ausgetretene Pfade" verlassen
Bundeskanzler Olaf Scholz klang nach dem Treffen in etwa wie davor. In der aktuellen Krise werde man nur durchkommen, "wenn wir uns unterhaken". Und:
Erstmal, so Scholz, gehe es um ein "gemeinsames Verständnis" der gegenwärtigen Krise. Die Bundesregierung, so Scholz, habe schon etwas dagegen getan: Zwei Entlastungspakete gebe es, die einzelnen Maßnahmen, wie Tankrabatt, Energiegeld, Erhöhung Kindergrundsicherung, Abschaffung der EEG-Umlage, Neun-Euro-Ticket in Höhe von 30 Milliarden Euro beinhalten. Zum Teil greifen sie erst in den nächsten Monaten.
Weiteres kann sich Scholz offenbar vorstellen. Man wolle "die ausgetretenen Pfade" verlassen und in den kommenden Monaten neue "Instrumente" entwickeln. Was das heißt, bleibt offen.
- Krise und Inflation - was tun?
Bundeskanzler Scholz startet eine Konzertierte Aktion, um die Auswirkungen der hohen Inflation abzumildern. Er sucht gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgeber nach Lösungen.
BDA-Chef Dulger: Löhne kein Inflationstreiber
Rainer Dulger, Präsident des Bundes Deutscher Arbeitgeberverbände, machte die Dringlichkeit noch einmal deutlich. Aktuell wüssten die Unternehmen nicht, "welches Feuer sich zuerst austreten lässt". Die unterbrochenen Lieferketten seit Corona, der Fachkräftemangel und jetzt auch noch das Energieproblem durch Russlands Krieg in der Ukraine, Dulger sagt:
Schuld an der Misere seien nicht die hohen Löhne, sie seien aktuell "nicht der Inflationstreiber".
Für die Gewerkschaften wäre aber genau das ein Mittel, so DGB-Chefin Yasmin Fahimi. Die Befürchtung der Arbeitgeber, dass höhere Löhne durch höhere Preise kompensiert werden müssten und damit faktisch aufgezehrt würden, sei "falsch": Eine Lohn-Preis-Spirale sei "faktisch nicht gegeben", so Fahimi.
- So lief die Konzertierte Aktion in den 60ern
Kanzler Scholz will mit Arbeitgebern und Gewerkschaften gegen die Inflation vorgehen - in einer Konzertierten Aktion. Damit folgt er einem Vorbild aus den 1960er Jahren.
Sorge vor Wartung der Nordstream-Pipeline
Mehrere Treffen sind bis Herbst nun geplant. Wie viel Zeit sich Politik, Gewerkschaft und Wirtschaft nehmen können, ist allerdings fraglich. Kanzler Scholz hatte selbst davon gesprochen, dass die steigenden Preise "sozialer Sprengstoff" seien.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder befürchtet, dass ohne Gegenmaßnahmen "die Müdigkeit in Deutschland" für den ukrainisch-russischen Konflikt "dramatisch wachsen" werde. Und über allem schwebt die jährliche Wartung der Nordstream1-Gaspipeline ab 11. Juli.
Niemand weiß heute, ob ab 21. Juli Russland wieder Gas nach Europa fließen lässt. Oder ob der Hahn sich endgültig schließt. Der Druck auf die Bundesregierung, schnell zu einem Ergebnis zu kommen, könnte damit wachsen. Entsprechend vielfältig sind die Vorschläge, auch innerhalb der Koalition.
FDP: Höhere Steuern sind "toxisch"
Während Regierungssprecher Steffen Hebestreit die Suche nach Gegenmaßnahmen als "ergebnisoffen" bezeichnete, will die FDP die kalte Progression abschaffen, damit eine Gehaltssteigerung durch die steigenden Preise nicht wieder aufgezehrt wird. "Es gibt eine Gerechtigkeitslücke", sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Saraj. Steuererhöhungen? Neue Entlastungspakete? "Toxisch" seien diese.
Schon Ende der 60er gab es eine "Konzertierte Aktion" – allerdings mit wenig Erfolg. ZDF-Korrespondent Theo Koll berichtet über das heutige Treffen in Berlin.
Grüne und SPD sind dagegen eher für abwarten, ob das 30-Milliarden-Paket greift. "Nach dem Sommer", so Grünen-Chef Omid Nouripour werde man sehen, wie die Inflation sich entwickelt, ob weitere Entlastungen nötig sind.
Ohnehin, so SPD-Generalsekretär Kühnert, wolle man den Tarifparteien keine Vorschriften machen. Trotzdem solle man sich mit Worten zurückhalten, weil viele Szenarien die Menschen erschreckten. Und manche Vorschläge, wie die 42-Stunden-Woche oder die Einschränkung des Streikrechts eher "Folklore" als ernst gemeint sei. Kühnert mahnt:
Söder befürchtet "eiskalten Winter" und Gas-Triage
Davon hält die Opposition bislang eher wenig. Söder sagte heute, es drohe ein "eiskalter Winter", "wirtschaftlicher Stillstand" und eine "Gas-Triage". Die Ampel-Koalition habe das Energieproblem durch Russlands Krieg "falsch eingeschätzt". Die Lage sei "schöngeredet" und "etwas vernebelt worden". Jens Spahn (CDU), Vize-Fraktionschef der Union im Bundestag, wirft der Bundesregierung vor, sie mache die Bekämpfung der Inflation "nicht zum Topthema":
Bis Herbst soll die Konzertierte Aktion zu konkreten Ergebnissen kommen. So in etwa: "Nageln Sie mich nicht fest", so Regierungssprecher Hebestreit, "wann der Herbst beginnt."