Russlands Informationskrieg: "Der Westen ist schuld"

    Russlands Informationskrieg:"Der Westen ist schuld"

    von Marilen Martin
    01.07.2022 | 19:57
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    In Russland sprechen sich kaum noch Menschen öffentlich gegen den Krieg aus. Wie der Kreml die russische Bevölkerung hinter sich vereint.

    Journalisten beobachten eine russische TV Übertragung
    Journalisten beobachten eine russische TV-Übertragung
    Quelle: AP, Alexander Zemlianichenko

    Grund für die Passivität der Bevölkerung - und somit den Machterhalt Putins - ist neben Repressionen die staatlich kontrollierte Medienlandschaft, die die Narrative des Kremls verbreitet.

    #See4Yourself und #Think4Yourself

    Die von den Medien verbreitete Botschaft ist dabei relativ simpel: Die USA streben selbstgerecht die Weltherrschaft an. Laut Ulrich Schmid, Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen, wird jedoch im Gegensatz zur Sowjetzeit nicht versucht, die Bevölkerung mit einfachen Slogans aktiv zur Unterstützung der Regierung aufzurufen. "Die staatliche Einflussnahme auf die öffentliche Meinung funktioniert heute viel subtiler", so Schmid.
    Ziel ist vor allem das Stiften von Verwirrung und dadurch von Zweifeln und Passivität in der Bevölkerung. Mit Hashtags wie #See4Yourself und #Think4Yourself (auf Deutsch "Sieh selbst" und "Denk selbst") soll zum "kritischen Hinterfragen" angeregt werden - allerdings nur von westlichen Medien, nicht von russischen Narrativen.

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    Kreml -Narrative in "logischen Sackgassen"

    Dabei ist es offensichtlich, dass die Narrative des Kremls "in logischen Sackgassen stecken wie etwa: 'Die Ukrainer sind unsere Brüder, deshalb töten wir sie'", so Schmid. Dennoch geht Lew Gudkow, Direktor des russischen Meinungsforschungsinstituts Lewada, davon aus, dass zwei Drittel der russischen Bevölkerung das offizielle Narrativ übernehmen - das sind ungefähr 96 Millionen Menschen.
    Grund für die erfolgreiche Verankerung der Narrative in der Bevölkerung ist der bewusste Einsatz unterschiedlicher rhetorischer Mittel und medialer Techniken.

    Russische Medien fokussiert auf Probleme des Westens

    Bereits durch die Themenauswahl beeinflussen die staatlichen Medien und somit der Kreml, womit sich die Bevölkerung auseinandersetzt. Häufig fokussieren sie sich auf innenpolitische Konflikte des Westens, während innerstaatliche Probleme Russlands weniger thematisiert werden.
    Es werden Bilder von Protesten der Gelbwesten in Frankreich gezeigt - teilweise ohne den Grund für den Protest zu nennen. Regierungskritische Proteste innerhalb Russlands werden hingegen versucht zu verschweigen. Ohne Falschinformationen zu verbreiten und nur durch das Weglassen von Informationen entsteht so das Bild, dass im Westen Chaos und in Russland Ordnung herrsche.

    Entertainment spielt zentrale Rolle

    Peter Pomerantsev bringt in seinem Buch "This Is Not Propaganda" ein weiteres Kernelement russischer Propaganda auf den Punkt:

    Der neue Kreml wird nicht denselben Fehler begehen wie die alte Sowjetunion.

    Peter Pomerantsev

    "Er wird nicht zulassen, dass das Fernsehen langweilig wird", so Pomarantsev. Durch den Unterhaltungscharakter schauen Menschen freiwillig Nachrichten und konsumieren damit die vom Kreml propagierten Narrative.

    Wut und Stolz

    Auch wenn Menschen durchaus in der Lage sind, die Komplexität von Themen zu verstehen und weiter zu denken als die simple Losung "Der Westen ist böse", nimmt diese Bereitschaft stark ab, wenn wir emotional berührt sind. Daher versuchen russische Medien gezielt, starke Emotionen wie Wut auf den Westen hervorzurufen.
    Berichte vom "großen Erfolg" des russischen Militärs oder der "vollständigen Befreiung" ukrainischer Städte durch russische Truppen lösen hingegen Stolz auf das eigene Land aus.
    Stolz, mutig, mit ungebrochenem Willen wehren sich junge Russ*innen gegen den Krieg, gegen die Diktatur im eigenen Land – und riskieren dabei ihre Freiheit und ihr Leben.26.05.2022 | 28:28 min

    Mehrheit in Russland "bemüht sich kaum" um Realitätsabgleich

    Auch wenn die russischen Strategien zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung weder neu noch innovativ sind, ist der Kreml besonders gut darin, sie für sich zu nutzen. Durch die ständige Wiederholung der Narrative verankern sich diese mit der Zeit.
    Vom Narrativ abweichende Fakten beispielsweise, dass Russland einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, passen dabei nicht in das Weltbild von einem "guten Russland" und "Neo-Nazis in der Ukraine", weswegen diese Informationen abgelehnt werden.
    Dies illustriert ein zentrales Problem: Die Mehrheit in Russland "bemüht sich kaum um einen Abgleich der medialen Berichterstattung mit der Realität," so Schmid, und:

    Es ist auch heute in Russland noch möglich, an unabhängige Informationen über den Krieg zu gelangen.

    2.000 Websites in Russland gesperrt

    Nur tun das viel zu wenige. Und es ist mit Hürden verbunden: Seit Kriegsbeginn wurden über 2.000 Websites in Russland gesperrt, unter anderem BBC News oder die Seite der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Für den Zugang braucht es VPNs, die den Internetverkehr verschlüsseln und so die Sperrungen umgehen können.

    Der herkömmliche Besuch im Internet geht über ein Smartphone, das sich in das WLAN einloggt und von dort die Seiten aufruft, die man besuchen möchte. Mit einem VPN geht das Smartphone über das WLAN zu einem VPN-Server und ruft von dort aus die Seiten auf. Die Verbindung zum VPN wird separat und unabhängig von WPA2 verschlüsselt und bietet somit mehr Sicherheit. VPN-Server kann man im Internet mieten oder seinen Router daheim als VPN-Server einrichten.

    Das zeigt: Trotz der Kontrolle über die Medien setzt der Staat auf Repressionen, angefangen mit dem Blockieren von Websites bis zum brutalen Zerschlagen von Protesten und Verhaftungen. Der Rückhalt der Bevölkerung kommt daher nicht durch die starke Überzeugungskraft der Narrative, sondern durch den Einsatz von Manipulation und Repression - ein gefälschter Erfolg, aber dennoch: Erfolg.



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