Brigadegeneral Meyer ist seit 2020 verantwortlich für die Bundeswehr in Afghanistan. Dass die Mission um zehn Monate verlängert wird, sieht er als Chance für das Land.
ZDF: Wie sieht heute abend die Lage in Mazar I Sharif aus?
Ansgar Meyer: Die Sicherheitslage ist sehr komplex und auch teilweise auch paradox. Trotz der Friedensverhandlungen, die es seit September letzten Jahres gibt, erleben wir einen Guerillakrieg zwischen den Taliban und den Regierungskräften. Die Taliban verfolgen die Devise "Verhandle und kämpfe", um sich Vorteile am Verhandlungstisch zu verschaffen.
Wenn ich das auf unseren Einsatz hier beziehe, so halten sich die Taliban an das Abkommen, das sie mit den USA getroffen haben. Das bedeutet, die Koalitionskräfte hier im Norden sind seit Februar letzten Jahres nicht mehr angegriffen worden. Das führte sogar so weit, dass wir am Anfang der Phase auf Taliban-Kämpfer trafen, man sich gegenseitig anschaute und wieder weg fuhr.
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ZDF: Die Taliban drohen allen ausländischen Truppen mit Krieg, die jetzt nicht abziehen. Auf was stellen Sie sich jetzt ein?
Meyer: Das muss man ernst nehmen. Die Sicherheit der Soldaten und Soldatinnen hat Priorität. Im Moment sind wir gut aufgestellt um unsere Aufgaben zu erfüllen. Aber sollte es wirklich zu intensiven Kämpfen kommen, dann wären Verstärkungskräfte in Deutschland mit einer ganz kurzen Vorwarnzeit für uns verfügbar.
ZDF: Wie beurteilen Sie den Erfolg der Mission Resolute Support?
Meyer: Dazu muss man weiter zurückschauen. Wir haben in den letzten 15 Jahren hier mit der Bundeswehr Streitkräfte aufgebaut, die mittlerweile in der Lage sind, eigene Operationen durchzuführen. Das ist ein Riesenerfolg in so kurzer Zeit. Das ist noch nicht alles perfekt, gerade im Bereich der Logistik ist noch einiges verbesserungswürdig, aber es hat dazu beigetragen, dass sich die Bevölkerung hier weiter entwickeln konnte.
Wenn ich auf die Frauenrechte schaue und auch auf Pressefreiheit und Meinungsfreiheit - da hat sich einiges entwickelt. Vor zwei Wochen hat das Bildungsministerium verboten, dass Mädchen in der Öffentlichkeit singen dürfen. Das hat einen Tsunami ausgelöst, Kritik kam aus allen Gesellschaftsschichten und hat dazu geführt, dass das wieder zurück genommen werden musste. Das gibt mir Hoffnung, das, was erreicht wurde, nicht so schnell aufzugeben. Egal, was bei den Verhandlungen herauskommt.ZDF: Reicht eine Verlängerung des Mandats um zehn Monate, um im Land etwas zu erreichen?
Meyer: Zunächst einmal bildet das Mandat jetzt die legitime Grundlage für uns zur Fortführung unseres Einsatzes und zur weiteren Beteiligung an der Mission. Wir hoffen darauf, dass in zehn Monaten eine Lösung am Verhandlungstisch erreicht werden kann.
Doch was wichtig ist: Wir geben keinen Weg vor, wir unterstützen die Afghanen, der Weg muss ein afghanischer sein, das ist ganz wichtig in unserer Mission.
ZDF: Wie erleben Sie die afghanischen Militärs, die Sie beraten?
Meyer: Die Führungsschicht, mit der wir in unserer fast täglichen Beratung zusammenarbeiten, ist eine neue Generation, die teilweise auch im Ausland, in westlichen Ländern ausgebildet wurde. Sie sind sehr professionell aufgestellt und wollen sich verbessern. Das ist das Wichtigste, sie erkennen Defizite und arbeiten daran.
ZDF: Ist die afghanische Armee in der Lage, es mit den Taliban aufzunehmen?
Meyer: Ich glaube, dass sie inzwischen gut genug ausgebildet ist, um gegenzuhalten. Dazu muss man wissen, die Taliban führen keinen konventionellen Krieg, sondern einen Guerillakrieg. Man weiß nie, wo gerade zugeschlagen wird. Das macht es schwer für die afghanischen Streitkräfte, zu reagieren. Es muss bei beiden - bei der Regierung und bei den Taliban - die Erkenntnis wachsen, dass dieser Konflikt nicht militärisch zu lösen ist.
Keiner wird den Konflikt militärisch gewinnen. Den Frieden, den sich die Bevölkerung über alles wünscht, wird man nur über den Verhandlungsweg erreichen können.
Das Interview führte Katrin Eigendorf per Skype.