Iraks Premier hat den Kampfeinsatz der US-Truppen im Land für beendet erklärt. Für pro-iranische Milizen im Irak ein leeres Versprechen. Sie drohen mit Attacken auf US-Ziele.
"Der 31.Dezember ist für uns ein symbolisches Datum. Es ist der zehnte Jahrestag des Abzugs der Amerikaner aus dem Irak im Jahr 2011", erinnert die Politikwissenschaftlerin Doha al-Chalidi.
Die Irakerin in Kopftuch und elegantem Blazer tritt in den TV-Sendern der pro-iranischen Milizen auf. Ihr Profil in den sozialen Medien schmückt ein Bild des - von den USA getöteten - iranischen Kommandeurs Qasem Soleimani, dessen Gesicht in vielen Straßen Iraks allgegenwärtig ist.
Mehrheit im irakischen Parlament für Truppenabzug
Auf Wunsch des Iraks wurden 2014 amerikanische Streitkräfte ins Land zurückverlegt, als Reaktion auf den Aufstieg der Terrorgruppe IS. Doch nach der Tötung Soleimanis vor zwei Jahren forderte eine Mehrheit im irakischen Parlament - in einer nicht-bindenden Abstimmung - den Abzug der US-Truppen.
Die Gruppierungen des pro-iranischen "Widerstands" kündigten an, ihre Angriffe auf US-Ziele einzustellen, wenn die Amerikaner bis zum 31. Dezember 2021 das Land verließen.
Offene Androhung von Anschlägen im Irak
"Genau heute sollten wir uns daran erinnern: dass unser Premierminister unter der Bedingung unterstützt wurde, dass er alle US-Streitkräfte aus dem Land abziehen lässt", sagt al-Chalidi. Und schiebt eine eloquente Warnung hinterher:
"Und wir werden so etwas wie ein Feuerwerk hier und da erleben", fügt al-Chalidi hinzu. Mit "Feuerwerk" meint sie die Drohung pro-iranischer Milizen, ihre Angriffe gegen US-Ziele in der Region wieder aufzunehmen. Tausende Freiwillige stünden bereit, sagen die Milizen.
Verbleib von US-Truppen umstritten
Anfang Dezember hatte Iraks Sicherheitsberater verkündet, dass die US-Truppen ihren Kampfeinsatz eingestellt und ab 2022 nur noch "in beratender Rolle" und "als Ausbilder" präsent seien. Die Truppen, die die internationale Anti-IS-Koalition anführen, haben nach irakischen Angaben zwar einige Militärbasen verlassen. Doch amerikanische Luftunterstützung und militärische Aufklärung sind für Bagdad weiterhin unverzichtbar.
Nach Aussagen von US-General Frank McKenzie bleiben daher weiterhin etwa 2.500 US-Soldaten im Irak. Kritiker im Land werfen der irakischen Regierung vor, die Präsenz der US-Truppen mit geschickter PR zu verschleiern - in der Hoffnung, so dem Druck der pro-iranischen Milizen zu entgehen.
"Als Ausbilder sollten doch lediglich 50 oder 100 US-Soldaten im Land sein, nicht tausende. Das Pentagon und die US-Streitkräfte sagen ganz offen, dass es keinen Abzug gibt - nur das US-Außenministerium verkauft das anders", so Doha al-Chalidi weiter. "Wenn die Amerikaner bleiben, wird es Chaos und Unruhen geben."
Einen Vorgeschmack darauf gab es bereits in den vergangenen Wochen: Eine Rakete schlug in der US-Botschaft in Bagdad ein, mehrmals wurden LKW auf der Autobahn zwischen Bagdad und Basra attackiert, zwei Drohnen tauchten über einer US-Basis im südlichen Syrien auf. Und eine Drohne zielte auf Iraks Premierminister Mustafa al-Kadhimi - der den Anschlag überlebte.
US-Rückzug "großes Geschenk" für die Iraker
"Nach dem Jahreswechsel erwarten wir noch mehr Spannungen. Die Informationen, die wir von westlichen Botschaften und von der Regierung bekommen, deuten jedenfalls darauf hin", sagt der Journalist Saleh Al-Hamadani in Bagdad. Vielleicht setzten, so Al-Hamdini, die Milizen ausgerechnet am 3.Januar, am Jahrestag des US-Anschlags auf den Revolutionsgarden-Kommandeur Soleimani, ein Zeichen.
"Jeder amerikanische Rückzug wäre meines Erachtens ein großes Geschenk an die Iraner", so Al-Hamadani. "Die wollen das alleinige Sagen hier haben. Die ganz normalen Iraker hingegen fühlen sich durch die US-Truppen nicht gestört, sie nehmen sie nicht einmal wahr."
Zukunft des Irak hängt am seidenen Faden
Al-Hamadanis Ängste sind umso größer, als dass sein Land eine tiefe politische Krise erlebt. Seit den Parlamentswahlen im Oktober hat sich keine neue Regierung bilden können. Die vom Iran unterstützte Parteienallianz schnitt so schlecht ab, dass sie die Legitimität der Wahlen in Frage stellte und vor das Oberste Gericht zog. Doch ihre Klage wurde abgewiesen.
Im Irak hat die Partei des schiitischen Geistlichen Al-Sadr die Parlamentswahl nach ersten Ergebnissen gewonnen. Die Wahlbeteiligung sank auf ein Rekordtief von rund 41 Prozent.
Der Wahlgewinner, der schiitische Geistliche Muktada al-Sadr, hat den Wahlverlierern Posten in seiner Regierung angeboten, wenn sie ihre Waffen abgeben. Eine für die Milizen unmögliche Bedingung, solange die US-Truppen im Land seien, sagen sie.
Die Zukunft des politischen Systems hängt - wieder einmal - am seidenen Faden. Und 2022 könnte der Irak mehr als bisher Opfer des geopolitischen Tauziehens werden - zwischen den USA und Iran.
Golineh Atai ist Korrespondentin im ZDF-Studio Kairo.