Iran-Proteste: So will das Regime eine Revolution verhindern

    Brutales Vorgehen der Polizei:So will Irans Regime die Revolution stoppen

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
    02.10.2022 | 18:38
    |

    Proteste in Iran halten an. Die Polizei kommt an ihre Grenzen, Gewalt nimmt zu. Iran-Experte Ali Fathollah-Nejad erklärt die Strategie der Sicherheitskräfte gegen die Bevölkerung.

    Proteste im Iran am 02.10.2022
    Trotz Repression weiter auf der Straße: Demonstranten in Irans Hauptstadt Teheran am Samstag.
    Quelle: epa

    Trotz Gewalt und Repression von Seiten der Sicherheitskräfte demonstrieren am Wochenende erneut Tausende Iraner für Freiheitsrechte. Es ist die größte Protestwelle seit Jahren. Für die Islamische Republik sind sie zu einer existenziellen Bedrohung angewachsen. Inzwischen kämpft das politische System mehr und mehr ums Überleben. Die Taktiken der Sicherheitsbehörden passen sich daran an. Ein Überblick, wie der Staat die Proteste niederringen will.

    Diese Sicherheitskräfte gehen gegen Demonstranten vor

    Iran hat eine ganze Reihe an Sicherheitskräften, die nun gegen Demonstranten vorgehen. Darunter:
    • Polizeikräfte des Iran (NAJA): Dachorganisation für verschiedene Polizeieinheiten, darunter auch die berüchtigte Sittenpolizei, die etwa für die Kontrolle der Kleidungsvorschriften zuständig ist.
    • Revolutionsgarden (IRGC) als ideologisch geprägte Organisation parallel zu den restlichen Sicherheitsbehörden. Sie verfügen über 200.000 aktive Kämpfer, hinzu kommen deutlich mehr irreguläre Kräfte in Form der Basij-Milizen.
    Der Politikwissenschaftler Ali Fathollah-Nejad von der Freien Universität Berlin sagt ZDFheute:

    Als erstes wird die Polizei bei Protesten auf die Straße geschickt. Wenn das nicht funktioniert, dann kommen die Revolutionsgarden ins Spiel.

    Ali Fathollah-Nejad, Freie Universität Berlin

    "Es gab seit der Grünen Bewegung von 2009 eine Reorganisation der Sicherheitskräfte mit Fokus auf Straßenproteste und wie man sie niederschlägt. Seit den landesweiten Unruhen von 2017-2018 sieht das Regime die Hauptgefahr nicht von außen, also Israel oder USA, sondern verortet sie im Inneren", erklärt Fathollah-Nejad. Die wichtigste Stütze des Systems sind die Revolutionsgarden. "Die Basij stehen völlig unter ihrer Kontrolle und auch in der Armeeführung stellen sie zentrale Posten."

    Revolutionsgarden unterwandern die Polizei

    Es gebe Anzeichen, dass das Vertrauen der Regierung in die reguläre Polizei schwinde: "Die Polizei schießt weniger leichtfertig auf Menschen. Es gibt gerade eine große Diskussion, ob es zu einer Spaltung kommen könnte; ob sich gewisse Elemente der Polizei den Demonstranten anschließen könnten", berichtet Fathollah-Nejad.

    Das Regime weiß, dass die Menschen in der Polizei und auch in der Armee eventuell Verbündete sehen. Deswegen wurden teils Revolutionsgardisten in Polizeiuniformen losgeschickt - um Hoffnungen der Demonstrierenden auf die Polizei zunichtezumachen. Sie schießen auf Menschen, um das Bild eines potenziellen Verbündeten zu vernichten.

    Ali Fathollah-Nejad, Freie Universität Berlin

    Hinzu kommt, dass viele Sicherheitskräfte laut Fathollah-Nejad nach zwei Wochen anhaltender Straßenproteste an einer Belastungsgrenze angekommen seien. "Es gibt Erschöpfungszeichen. Tags über hängen viele Einsatzkräfte in Parks herum und ruhen sich aus, um dann abends und nachts mit ihrer schweren Schutzausrüstung einsatzfähig zu sein. Und schon damit waren sie überfordert." Inzwischen gingen die Leute aber auch tagsüber auf die Straße.

    Deshalb gibt es inzwischen so viele Fotos und Videos von Frauen ohne Kopftuch tagsüber - weil immer weniger Kräfte da sind, um das zu kontrollieren.

    Ali Fathollah-Nejad, Freie Universität Berlin

    Die Sittenpolizei, deren Festnahme und vermutliche Tötung der 22-jährigen Mahsa Amini die Proteste ausgelöst hatte, sei weitgehend von den Straßen verschwunden, berichtet Fathollah-Nejad.
    Proteste an der Universität von Kermanschah
    Ein Klick für den Datenschutz
    Erst wenn Sie hier klicken, werden Bilder und andere Daten von Twitter nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Twitter übertragen. Über den Datenschutz dieses Social Media-Anbieters können Sie sich auf der Seite von Twitter informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
    Datenschutzeinstellungen anpassen

    Dutzende Tote im Südosten des Landes

    Nicht überall im Land geht der Staat gleich vor. In manchen Gebieten mit großen ethnischen Minderheiten oder zurückliegenden Aufstandsbewegungen sind die Sicherheitskräfte stärker militarisiert, die Revolutionsgarden schon vorher präsenter.
    Das führt auch dazu, dass die Proteste in Regionen wie Sistan und Belutschistan schneller blutig werden. In der Provinzhauptstadt Zahedan im Südosten des Landes starben am Freitag mindestens 41 Personen beim Versuch Polizeistationen zu stürmen. Das genaue Ausmaß der Proteste ist weiter schwer zu überblicken, was auch daran liegt, dass das Internet seit rund einer Woche abgeschaltet ist. Der wirtschaftliche Schaden dieser Radikal-Maßnahme ist immens.

    Propaganda-Kampf um die iranische Jugend

    Trotzdem erfassen die Proteste nahezu alle Landesteile. "Die meisten Menschen, die auf die Straße gehen sind aus der Altersgruppe 16 bis 25. Dem Regime ist es daher wichtig zu zeigen, dass nicht alle jungen Leute auf der Seite der Protestierenden stehen", sagt Fathollah-Nejad.
    Der Iran-Experte verweist auf bewusst zirkulierte Bilder von jungen Einsatzkräften. "Auch mit von Kindern gesungenen, proto-faschistischen Propagandaliedern wie 'Salam Famandeh' ('Hallo, Kommandeur') hat das Regime vor Kurzem eine breite Unterstützung durch eine nachwachsende revolutionäre Generation suggeriert."
    Inzwischen werde der Protest aber Klassen- und Ethnien-übergreifend organisiert. Damit habe er das gleiche Potenzial wie die Proteste während der Anfangsphase des Arabischen Frühlings in Tunesien oder Ägypten.

    Wirtschaftsmacht der Revolutionsgarde ist bedroht

    Für die Köpfe der Revolutionsgarden geht es nicht nur um den politischen Machterhalt, sondern auch um ihren wirtschaftlichen Einfluss:

    Die ganzen Generäle sind alle auch ökonomische Akteure mit Unternehmen und Geschäftsinteressen - vermutlich mehr, als dass sie Militärstrategen sind.

    Ali Fathollah-Nejad, Freie Universität Berlin

    Den Menschen in Iran und auch vielen einfachen Fußtruppen in Armee und Polizei ist das bewusst. Eine anhaltende Wirtschaftskrise, in Teilen auch durch die Iran-Sanktionen bedingt, hat in den letzten Jahren zu einer großen Verarmung der Mittelschicht beigetragen. Auch Menschen an der Basis des Regimes spüren die Inflation. Fathollah-Nejad kann sich vorstellen, dass die große soziale Schere, zusammen mit Befehlen, die Proteste blutig niederzuschlagen, auch innerhalb des Repressionsapparats zu Brüchen führen kann.

    Wie geht es weiter: Hilfe aus Libanon oder Irak?

    Eine mögliche Abhilfe für das System könnte der Rückgriff auf ausländische Verbündete sein, Hisbollah im Libanon oder Haschd al-Schabi-Milizen im Irak. "Im November 2019 war Haschd al-Schabi schon bei Protesten in der Provinz Chuzestan involviert. Das ist auch jetzt realistisch, sollten die Sicherheitskräfte weiter unter Druck geraten. Das sind ausländische Milizen, das würde jede Solidarisierung mit den Demonstranten verhindern", sagt Fathollah-Nejad.
    Kritik an Irans Finanzierung ausländischer Milizen
    Ein Klick für den Datenschutz
    Erst wenn Sie hier klicken, werden Bilder und andere Daten von Twitter nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Twitter übertragen. Über den Datenschutz dieses Social Media-Anbieters können Sie sich auf der Seite von Twitter informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
    Datenschutzeinstellungen anpassen
    Auf ein Entgegenkommen der Staatsmacht baut Fathollah-Nejad nicht:

    Die Strategie des Regimes ist es, keine Schwäche zu zeigen. Denn jedes Zugeständnis würde weitere Forderungen nach sich ziehen.

    Ali Fathollah-Nejad, Freie Universität Berlin

    "Gesten eines veritablen Entgegenkommens, geschweige denn Reformen, sind in meinen Augen Propaganda und werden diese Proteste nicht stoppen", sagt Fathollah-Nejad. Es gehe inzwischen nicht mehr nur um die Kopftuchfrage oder die Sittenpolizei.

    Bericht von "Iran Human Rights"
    :Iran-Protest: Aktivisten melden 133 Tote

    Nach Berichten von "Iran Human Rights" sind bei den anhaltenden Protesten im Iran 133 Menschen getötet worden. Die iranischen Behörden töteten Demonstranten absichtlich.
    Gewaltsame Proteste im Iran am 02.10.2022

    Mehr zu Iran