Regime und Katar: Teherans Einfluss auf iranische WM-Fans

    Kooperieren Regime und Katar?:Teherans Einfluss auf iranische WM-Fans

    Golineh Atai
    von Golineh Atai, Doha
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    Repressalien und Verbote: Iranische Fans, die ihre Solidarität mit der Protestbewegung im Land zeigen wollten, mussten Angst haben, in Doha vom Mullah-Regime überwacht zu werden.

    Ob er überhaupt Fans habe in den USA. Ob ihn sein Land unter dem Druck von Inflation und Rezession überhaupt unterstützen könne. Und warum bitteschön sein Land Kriegsschiffe im Persischen Golf habe. Die Fragen, die Journalisten iranischer Staatsmedien US-Fußball-Coach Gregg Berhalter vor dem abschließenden Gruppenspiel schickten, waren angriffslustig, ja fast spöttisch.
    Während der Propaganda-Apparat der Islamischen Republik die Diskriminierungserfahrungen der Afroamerikaner anprangerte - eine übliche Taktik, um von eigenen Vergehen in Iran abzulenken - antwortete US-Kapitän Tyler Adams den Iranern ruhig und gelassen, dass er, ein Afroamerikaner, in Sachen Bürgerrechte in den USA jeden Tag Fortschritte registriere.
    Eine surreale Pressekonferenz: Während westliche Medien Irans Trainer Carlos Queiroz und Kapitän Karim Ansarifard keine einzige Frage zu den Menschenrechten stellten, holten Irans Staatsmedien aus - zur genüsslichen geopolitischen Abrechnung. Und die Fans?

    Iran: Milizen getarnt als Fußball-Fans?

    Viele Iranerinnen und Iraner, die dem Regime ablehnend gegenüberstehen, hatten ihren Besuch in Katar angesichts der Demonstrationen in Iran in den vergangenen Wochen abgesagt. Dafür hatte Teheran offenbar Hunderte eigene Funktionäre und Milizen mobilisiert, getarnt als Fußball-Fans.
    Gerade nach dem Spiel gegen England, als Irans Mannschaft die Hymne nicht gesungen hatte und viele Zuschauer ihre Solidarität mit der Protestbewegung zu erkennen gaben, soll das Regime gezielt noch mehr Kräfte nach Doha geschickt haben - sehr wahrscheinlich, um die Mannschaft abzuschirmen.
    Manu Thiele
    Irans Nationalteam hat mit dem Schweigen bei der Hymne ein deutliches Zeichen während der WM gesetzt. Was hat das für Folgen? Manu Thiele blickt auf die Situation im Iran.25.11.2022 | 17:53 min

    Basidsch-Kommandeur lobt Zusammenarbeit mit Katar

    Und: Um ihnen nicht wohlgesonnene Fans zu beschatten und zu überwachen. Katars Sicherheitsapparat soll mit ihnen eng kooperieren. Vor dem letzten Vorrundenspiel wurde ein Gespräch bekannt, dass der stellvertretende Basidsch-Milizen-Kommandeur Ghassem Ghoreishi mit einem Vertreter der Staatsmedien geführt haben soll.
    Darin pries der Kommandeur die gute Zusammenarbeit mit den Katarern während der WM an. Sie hätten zugesagt, politisch brisante Symbole der iranischen Protestbewegung in Katar zu konfiszieren und Passagierlisten und Daten iranischer Fans an Teheran zu übergeben.

    Fans beschweren sich bei FIFA über Repressalien

    Fans bestätigten im Gespräch mit dem ZDF, dass Persisch sprechende Sicherheitskräfte bei Festnahmen oder Verhören von Fans in Doha beteiligt gewesen sind. Symbole wie der "Frau-Leben-Freiheit"-Aufkleber, Porträts getöteter Demonstranten oder Irans vorrevolutionäre Fahne seien regelmäßig beschlagnahmt worden. Viele Fans reichten Beschwerden ein bei der FIFA - über den schroffen Ton und die Willkür der katarischen Sicherheitsbehörden.
    Kurz vor dem letzten Vorrundenspiel – quasi in der letzten Sekunde - verkündete der Weltfußballverband dann, dass Botschaften zur Förderung der Menschen- und Frauenrechte oder das Porträt von Mahsa Amini erlaubt seien.

    ZDF-Kameramann von Sicherheitspersonal behindert

    Doch das widerspricht den Erfahrungen vieler iranischer Fans. Als das ZDF-Kamerateam im Al Thumama-Stadion regierungskritische Fans interviewte, wurde es mehrmals beim Drehen gehindert. Ein Sicherheitswachmann schubste den Kameramann, als dieser eine Iranerin mit einer Flagge drehen wollte, auf der die Porträts der vom Regime getöteten Demonstranten zu sehen waren.
    Während mehrerer Interviews wurden Interviewpartner von Personen, die offenbar dem Regime nahestehen, gezielt gefilmt und fotografiert.

    Sie schikanieren alle. Sie drangsalieren alle um sie herum. Und die Katarer lassen das alles zu.

    Faradsch, iranischer Fan

    Iranische Fans hatten Angst vor Auslieferung

    Andere berichteten, dass sie privat von Katarern gewarnt worden seien: Sie liefen aufgrund ihrer Protestabzeichen Gefahr, vom katarischen Staat ausgeliefert zu werden, und könnten bei einer Fortführung ihres Protests unter Zwang in die Botschaft der Islamischen Republik in Doha gebracht werden. Tatsächlich war beim Spiel gegen die USA auffällig, dass weitaus weniger Protestchöre und Protestsymbole zu sehen und zu hören waren als beim ersten Vorrundenspiel Iran gegen England.
    Für viele iranische Fans war die letzte Partie eine Achterbahnfahrt der Gefühle: Einerseits wollten sie nicht, dass ihre Mannschaft gewinnt und dem Regime einen lange ersehnten Propaganda-Sieg beschert. Andererseits wussten sie, dass ihre Mannschaft mehreren Berichten zufolge bedroht wurde - um keinerlei Sympathien mit der protestierenden Bevölkerung zu zeigen.

    "Frau-Leben-Freiheit" - das ist die Geschichte, die wir heute erzählen wollten. Der ganzen Welt. Das hier ist nicht nur ein Spiel gewesen.

    Iranischer Fan

    Iran - USA: Ein Match, dem viele lange entgegengefiebert hatten, ist zu Ende. Die USA haben gewonnen, Iran ist damit ausgeschieden. Der Kampf um die Freiheit aber geht weiter.
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