Eine Welt ohne Atomwaffen wäre schön, sagt Wolfgang Ischinger. Doch gerade Russland sei eine Bedrohung. Ischinger warnt die Ampel vor Alleingängen und einseitiger Abrüstung.
Die Ampel will vor allem mit Klima und Sozialem punkten. Wie wichtig ist ihr die Außen- und Sicherheitspolitik? Berlin direkt über Deutschlands künftige Rolle in der Welt.
ZDFheute: In Deutschland wird über die nukleare Teilhabe diskutiert - also die Frage, ob Deutschland Teil der Nuklearstrategie der NATO bleiben soll. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sagt in Richtung Russland, die NATO sei auch bereit, Nuklearwaffen einzusetzen. Wie sehen Sie das?
Wolfgang Ischinger: Wir wollen doch alle eine Welt anstreben, in der es möglichst wenige oder gar keine Atomwaffen gibt. Das ist unstrittig. Die Frage ist: Was ist der richtige Weg dorthin?
Der richtige Weg wäre, wenn wir endlich wieder Abrüstungsverhandlungen anfangen würden, vor allem mit Russland.
ZDFheute: SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat Kramp-Karrenbauer kritisiert. Hat er Recht? Braucht es nicht eher Abrüstung?
Ischinger: Keine einseitige Abrüstung. Und bitte nicht den Blick darauf verweigern, dass wir damit unseren Nachbarn wirklich den Teppich unter den Füßen wegziehen würden.
Die haben Angst vor Russland. Da können wir zehnmal sagen, diese Angst ist übertrieben. Die Angst ist aber da und wir haben eine Solidaritätspflicht unseren Partnern und Nachbarn gegenüber.
-
ZDFheute: Sehen Sie denn die Gefahr, dass Deutschland einen Alleingang machen könnte in einer Ampelkoalition?
Ischinger: Ich glaube, dass es Kräfte gibt innerhalb der einen oder anderen Partei, die jetzt Koalitionsverhandlungen betreibt. Die sind in die Schranken zu weisen. Es wäre wirklich ein Beinbruch für Deutschland und unsere Sicherheit in Europa, wenn wir unbedachte Schritte machen würden.
Das Ziel einer möglichst raschen Verringerung der Nuklearwaffen sollten wir verfolgen. Aber dann doch bitte auch auf der russischen Seite. Russland hat in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, in Kaliningrad, ballistische Waffen stationiert, die mit Nuklearsprengköpfen bestückt werden können und die in wenigen Minuten Berlin erreichen können.
Wollen wir solche möglichen Bedrohungen einfach kritiklos hinnehmen oder ist es nicht besser, wenn wir sagen:
ZDFheute: In Glasgow findet gerade die UN-Klimakonferenz statt. Und in Berlin könnten Die Grünen Teil der nächsten Bundesregierung werden. Erleben wir gerade ein Primat der Klimapolitik und Sicherheitspolitik kann sehen, wo sie bleibt?
Ischinger: Klimapolitik ist wichtig, aber Außen- und Sicherheitspolitik ist vorausschauende Wohlstandssicherung. Deswegen verdient dieser Bereich unserer Politik, nicht stiefmütterlich behandelt zu werden.
Klimapolitik ist wichtig, Außenpolitik aber auch, sagt Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Er plädiert im ZDF dafür, in Sicherheit zu investieren.
Es geht nicht darum, dass wir ein von der NATO definiertes Zwei-Prozent-Ziel deswegen erfüllen, weil es von der NATO gefordert wird. Umgekehrt wird doch ein Schuh draus. Wir müssen uns fragen, wie viel Geld wir ausgeben müssen, damit unsere Sicherheit und die unserer Partner und Nachbarn, für die wir einzutreten haben, absichern können.
Das ist in einer Welt, in der rund um uns herum geschossen, gefochten und geblutet wird, denken Sie an die Ukraine, an Syrien, an das Mittelmeer, eine wichtige Aufgabe.
ZDFheute: Aber das Zwei-Prozent-Ziel steht doch in Frage. Die Grünen haben in ihrem Wahlprogramm gesagt, dass sie es nicht wörtlich nehmen wollen.
Ischinger: Ich bin gar nicht der Meinung, dass wir das Zwei-Prozent-Ziel wie den Tanz ums Goldene Kalb betrachten sollten. Sondern die Außen- und Sicherheitspolitiker müssen die Frage beantworten, wie viel Geld Deutschland in die Hand nehmen kann, damit es geordnet seine sicherheitspolitischen Notwendigkeiten erledigen kann.
Ich habe vor ein paar Jahren den Vorschlag gemacht, dass wir dafür drei Prozent vorsehen. Für diplomatische und humanitäre Aktivitäten, für Entwicklungspolitik und für Verteidigungspolitik.
Das Interview führte Thomas Reichart für die ZDF-Sendung "Berlin direkt".