Die Ukraine-Krise spitzt sich zu. Im ZDF spricht Sicherheitsexperte Ischinger über seine Erwartungen an Baerbocks Besuch in Moskau und die Sprache, die Putin versteht.
Die Bundesregierung ist besorgt über die Lage an der ukrainisch-russischen Grenze - Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete sie als "sehr, sehr ernst". Alle Anstrengungen seien derzeit darauf ausgerichtet, eine Eskalation zu verhindern. Doch die Warnungen an Russland werden eindringlicher.
An diesem Dienstag ist Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zum Antrittsbesuch in Moskau. Der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, glaubt jedoch nicht, dass Baerbock viel ausrichten kann. Man müsse die Erwartungen runterschrauben, sagte er im ZDF heute journal.
Sehen Sie das komplette Interview mit Wolfgang Ischinger oben im Video und lesen Sie es hier in Auszügen:
Was kann Außenministerin Baerbock in Moskau erreichen?
"Ich bin der Meinung, dass man die Erwartungen an das, was bei diesem Besuch erreicht werden kann, runterschrauben sollte", sagt Ischinger. Es sei ein Antrittsbesuch der deutschen Außenministerin in einer "außerordentlich komplexen internationalen Gemengelage".
Das Beste, was aus seiner Sicht herauskommen könnte, sei eine Wiederbelebung des Normandie-Formats, also von tatsächlichen Gesprächen, Verhandlungen über die Lösung des Konflikts. "Das wäre schon viel."
Was sollte die Rolle der USA sein?
Seine persönliche Meinung sei, so Ischinger, dass man angesichts der jetzt entstandenen Lage "unsere amerikanischen Freunde" bitten müsste, "diese Verhandlungen vielleicht nicht zu führen, aber sich doch an ihnen direkt zu beteiligen". Den Russen müsste jemand gegenüber sitzen, "den sie ernst nehmen".
Worauf muss sich Baerbock in Moskau einstellen?
"Ich bin ganz sicher, dass die Außenministerin sich das Video genau angeguckt hat, wie vor einem drei Viertel Jahr Sergej Lawrow den hohen Beauftragten der europäischen Union, Josep Borrell, auf offener Bühne quasi abgewatscht hat", so Ischinger im ZDF.
"Das war schlimm. Aber man muss natürlich auch sagen: Es ist wichtig, Sergej Lawrow auch genau zuzuhören. Es gibt auf der Welt heute keinen Außenminister weit und breit, der so lange Jahre dieses Amt innehatte und der alles ganz genau weiß."
Hört Moskau die Botschaft oder braucht es schärfere Mittel?
"Das klassische Konzept der Nato muss auch hier angewendet werden", sagt Ischinger: Man brauche eine Doppelstrategie - einerseits "möglichst viel, möglichst glaubwürdige, umfassende Abschreckung - gekoppelt an ein Dialogangebot". Bei der Abschreckung "hapert es ein bisschen, wenn man von vornherein Nord Stream 2 sozusagen aus dem Spiel nimmt".
"Wenn dann andere Stimmen aus Deutschland Sanktionen zum Thema Swift aus dem Spiel nehmen, dann erscheint die Abschreckungswirkung, die wir erzielen können, erst recht gering." Vor allem, nachdem Deutschland schon erklärt habe, dass Waffenlieferungen an die Ukraine nicht in Betracht kämen, fügt der Sicherheitsexperte hinzu.
"Also ich sehe hier eine Schwachstelle bei unserem Beitrag zu einer umfassenden Abschreckungsstrategie, denn das ist das Einzige, was das Kalkül Putins und der Kreml-Führung tatsächlich beeinflussen könnte: Ist der Preis eines militärischen Vorgehens möglicherweise zu hoch? Dann wird er es nicht machen."