Seitdem der Nahost-Konflikt wieder eskaliert, sind Jüdinnen und Juden in Deutschland noch mehr als sonst Anfeindungen ausgesetzt. Opferberatungsstellen sprechen von "blankem Hass".
Gelsenkirchen, Bonn, Münster, Düsseldorf, Nordhausen, Ulm - die Liste antisemitischer Anschläge auf Synagogen und Mahnmale wächst, seitdem der Nahost-Konflikt eskaliert. "Die Lage ist sehr angespannt", sagt Marina Chernivsky von der Opferberatungsstelle antisemitischer Gewalt und Diskriminierung Ofek.
Jüdinnen und Juden in Deutschland seien "blankem Hass" ausgesetzt, man sei "in großer Sorge", so Chernivsky bei einer Podiumsdiskussion auf dem Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt. Ihre Erfahrung aus der Opferberatung: "Antisemitismus ist nicht nur eine Einstellung, es geht um Gewalt."
Merkel: Antisemitischer Protest wird nicht geduldet
Eine Sorge, auf die die Politik mittlerweile reagiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ am Freitag über Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilen, dass antisemitische Proteste nicht geduldet würden. Wer in Deutschland jüdische Einrichtungen angreife, "der zeigt damit schon, dass es ihm nicht um Kritik an einem Staat und einer Regierung geht, sondern um Aggression und Hass gegen eine Religion und diejenigen, die ihr angehören", sagte Seibert.
Ähnlich äußerte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der "Bild"-Zeitung:
Wer Fahnen mit dem Davidstern verbrenne und antisemitische Parolen brülle, "der missbraucht nicht nur die Demonstrationsfreiheit, sondern der begeht Straftaten", so Steinmeier.
Rias-Verband beobachtet "deutlich schnellere Dynamik"
Der Berliner Bundesverband Rias dokumentiert seit Jahren antisemitische Vorfälle. Dass diese in Deutschland ansteigen, wenn sich der israelische-palästinensische Konflikt verschärft, sei nicht ungewöhnlich. Allerdings zeichne sich jetzt "eine deutlich schnellere Dynamik antisemitischer Vorfälle ab als noch im Dezember 2017", so der Verband.
Seit dieser Woche seien Jüdinnen und Juden direkt und auf sozialen Plattformen "Beleidigungen und Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt", konstatiert Rias. Benjamin Fischer von der Alfred-Landecker-Stiftung berichtet auf dem Kirchentag, dass sich beobachten lasse, wie schnell sich derzeit antisemitischer Hass "offline überträgt".
Mehr Schutz für jüdische Einrichtungen
Am kommenden Wochenende sind weitere Demonstrationen angekündigt. Israels Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, forderte in der ARD von den deutschen Behörden "alles dafür zu tun, für die Sicherheit unserer Gemeinde hier zu sorgen". Laut Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, gebe es eine reelle Bedrohung. "Die Verantwortung liegt bei den Behörden", sagte er im ZDF:
Das hatte es zum Beispiel am Donnerstag in Gelsenkirchen anfangs nicht gegeben. Polizisten hatten nicht eingegriffen, als bei einer Demonstration von etwa 180 Leuten "Scheiß Juden" skandiert wurde. Die Polizei sagt, es seien zunächst nicht genügend Einsatzkräfte vor Ort gewesen.
Das Bundesinnenministerium bot inzwischen den Ländern an, bei Demonstrationen mit der Bundespolizei zu unterstützen. Noch gebe es aber keine Anforderungen, sagte heute ein Ministeriumssprecher. Derzeit gebe es "Signale, dass sich das Täterspektrum zum Teil aus dem islamistischen und linken Milieu zusammensetzt".
Antisemitismusbeauftragter: Auf Muslime einwirken
Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, sieht daher auch die muslimischen Verbände in der Pflicht, mäßigend auf Demonstranten einzuwirken. Sie sollten "zu Gewaltfreiheit aufrufen und deeskalierend auf die muslimische Gemeinschaft in Deutschland einwirken", sagte Klein.
Präsident Schuster warnte vor Pauschalisierung: Maßstab für Demonstrationen müsse sein, wenn friedlicher Protest kippt. "Es gibt nicht die Juden, die Muslime."
- Nahost – Hass bis in Nachbarschaften
Im Nahen Osten ist kein Ende der Kämpfe zwischen Israelis und Palästinensern in Sicht. Der Konflikt sorgt auf beiden Seiten für großes Leid.