Diese Patt-Situation hatten sich die Israelis nicht gewünscht: Nach der Wahl zeichnet sich wieder keine klare Mehrheit ab. Wie kann es jetzt weitergehen?
Wenn es am Tag nach der Wahl trotz allem doch noch so etwas wie einen gemeinsamen Nenner der zutiefst gespaltenen Nation gibt, dann ist es wohl dieser: Dieses Patt hat kein Israeli gewollt.
Nach Wahl droht Handlungsunfähigkeit
Wieder einmal droht das Land in Handlungsunfähigkeit und Regierungschaos zu versinken, dabei hatte es sich doch gerade den Weltmeistertitel beim Impfen geholt. Nach vier Wahlen in zwei Jahren malen manche schon das Gespenst einer fünften Wahl an die Wand. Natürlich nur, um damit schon wieder die eigenen parteipolitischen Ziele zu befeuern.
Nach Auszählung von etwa 90 Prozent der Stimmen hat weder der Pro- noch der Anti-Netanjahu-Block eine Mehrheit in der Knesset. Die liegt bei 61 Mandaten. Ein genauerer Blick auf die beiden Blöcke macht das Chaos leider nur noch größer.
Netanjahu will weiterregieren
Netanjahu würde natürlich gerne in einem Rechts-Bündnis weiterregieren. Dazu braucht er neben den Ultra-Orthodoxen und ultra-nationalistischen Zionisten die rechtskonservative "Yemina" von Naftali Bennet. Der ziert sich zwar noch, aber wohl nur um den Preis für den Regierungseintritt hochzutreiben. Allein - eine solche Koalition verfehlt noch immer die nötige Mehrheit.
Hier kommt Mansour Abbas mit seiner islamistischen "Ra' Am" als Königsmacher ins Spiel. Wie der arabische Israeli Abbas mit Siedler-Unterstützern, Annexionsbefürwortern und Gegnern einer Zwei-Staatenlösung koalieren will, ist schwer nachzuvollziehen. Dennoch hat er Interesse bekundet, Netanjahu zu unterstützen.
Umgekehrt macht dessen Likud Abbas Avancen. Dumm nur, dass Bennet, der schon früher mit rassistischen Äußerungen aufgefallen ist, da nicht mitspielt. In einem theatralischen Akt vor laufender Kamera hat er symbolisch geschworen, nicht mit Herausforderer Yair Lapid zusammenzugehen, wenn Netanjahu seinerseits erkläre, niemals mit dem israelischen Araber Abbas zu koalieren.
Welche Netanjahu-Alternativen gibt es?
Beim Anti-Netanjahu-Block sieht es in puncto Mehrheit aber nicht besser aus. Angeführt von Lapids Mitte-Links Partei Yesh Atid reicht ein mögliches Bündnis von Gideon Saars Mitte-Rechts Abtrünnigen, Netanjahus Ex-Koalitionspartner "Kahol Lavan" über die Arbeiterpartei bis zur gemeinsamen arabischen Liste.
Größer könnten die Gegensätze kaum sein, verbindend ist vor allem die Feindschaft zu Netanjahu. Aber selbst einer solchen Koalition fehlten Mansour Abbas und seine islamistischen Stimmen als Zünglein an der Waage. Zwar hat Lapid bereits die Fühler ausgestreckt, doch Saars "New Hope" hat abgewunken. Mit Arabern gingen sie keine Koalition ein.
Letzte Ausfahrt Neuwahlen?
Wie aus alldem eine irgendeine tragfähige Regierungsmehrheit entstehen soll, mag niemand voraussagen. Also doch Neuwahlen aus Unfähigkeit eine Regierung zu bilden? Das würde wohl kaum etwas bringen, meint Yohanan Plesner vom Israel Democracy Institut und bringt eine weitere Möglichkeit ins Spiel:
"Eine Minderheitsregierung. Entweder eine Minderheitsregierung von Benjamin Netanjahu mit Unterstützung von außen, zum Beispiel durch die islamistische Partei von Abbas, ohne dass die formell Mitglied der Koalition wäre. Oder eine Minderheitsregierung geführt von der "Change"-Koalition, angeführt von Naftali Bennett, ebenfalls nur von außen unterstützt durch die arabischen Parteien."
Und Plesner sieht noch eine dritte Option: "Eine Minderheitsregierung der einen oder anderen Seite, unterstützt von Abtrünnigen des jeweils anderen Blocks. Dies ist die Zeit für Politiker und Menschen mit politischen Fähigkeiten, kreative Lösungen zu präsentieren, die uns erlauben eine Regierung zu bilden und Neuwahlen zu vermeiden."
An eine solche Minderheitsregierung mag von den Beteiligten aber bisher niemand denken. So bleibt die Situation bis auf Weiteres erst mal das, was die Israelis "Balagan" nennen: Ein großes Durcheinander.
Michael Bewerunge ist Leiter des ZDF-Studios Tel Aviv. Das Studio ist zuständig für die Berichterstattung aus Israel, den palästinensischen Autonomiegebieten, Jordanien und Zypern.