Parlament soll aufgelöst werden:Israels Regierung strebt Neuwahlen an
20.06.2022 | 20:03
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Die israelische Regierungskoalition will das Parlament auflösen und damit Neuwahlen einleiten. Bis dahin soll Außenminister Lapid Ministerpräsident werden.
Israel steuert auf die fünfte Parlamentswahl in gut drei Jahren zu. In den kommenden Tagen werde es eine Abstimmung über die Auflösung des Parlaments geben, teilte das Büro von Ministerpräsident Naftali Bennett am Montag mit.
Nach Auflösung der Knesset und bis zur Vereidigung einer neuen Regierung soll demnach der aktuelle Außenminister Jair Lapid stellvertretend das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen. Bislang ist Bennett auf dem Posten.
Bennett: "Richtige Entscheidung für Israel"
Die Wahlen könnten Medien zufolge Ende Oktober stattfinden. Bennetts Regierungsbündnis ist seit einem Jahr im Amt und wackelt schon seit längerem. Im April hatte die Acht-Parteien-Koalition ihre hauchdünne Mehrheit von 61 von 120 Sitzen verloren, weil eine Abgeordnete das Bündnis verlassen hatte. Die Opposition um Ex-Premiermister Benjamin Netanjahu fordert Bennetts Rücktritt.
Bei einer im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz sagte Bennett, es handele sich um "die richtige Entscheidung für Israel". Er zählte eine Reihe von Errungenschaften der Regierung auf und versprach einen "geordneten" Übergang. Lapid dankte Bennett dafür, das Land über seine persönlichen Interessen gestellt zu haben. "Selbst wenn wir in ein paar Monaten in Wahlen gehen, können unsere Herausforderungen als Staat nicht warten", sagte Lapid.
Tempelberg-Zusammenstöße belasteten Koalition
Bennett führt seit Juni 2021 eine fragile Koalition aus acht Parteien, die inhaltlich wenig verbindet. Sie hatten sich nach den letzten vier Wahlen ohne klaren Sieger zwischen 2019 und 2021 zusammengefunden, um eine weitere Amtszeit des langjährigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zu verhindern. Teil der Vereinbarung war, dass erst Bennett von der ultrarechten Partei Jamina und danach Lapid von der gemäßigten Zukunftspartei (Jesch Atid) für zwei Jahre Regierungschef sein sollte. Erstmals war auch eine arabische Partei an einer Regierung in Israel beteiligt.
Zuletzt hatten im April Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern die Koalition vor eine Zerreißprobe gestellt. Nach Zusammenstößen rund um den Tempelberg in Jerusalem hatte die arabische Raam-Partei mit einem Rückzug aus der Koalition gedroht, sollte die Regierung ihr hartes Vorgehen gegen palästinensische Demonstranten fortsetzen.
Das Ende der Regierung sei "ein Sterben mit Ansage" gewesen, schätzt ZDF-Korrespondent Michael Bewerunge aus Tel Aviv ein. Die Teilnahme einer arabischen Partei hätten sowohl die jüdische als auch die palästinensische Bevölkerung abgelehnt. Das Scheitern der Koalition sei ein "Spiegelbild der Zerrissenheit in diesem gespaltenen Land", so Bewerunge.
Wird Netanjahu-Partei wieder stärkste Kraft?
Auch in Bennetts ultrarechter Jamina-Partei gärte es, einige seiner Abgeordneten kritisierten Bennett als zu kompromissbereit. Als vor zwei Wochen eine entscheidende Abstimmung über eine Sonderregelung für jüdische Siedler im Westjordanland scheiterte, war das für viele Beobachter ein klares Signal, dass die Regierungskoalition bald endgültig Geschichte sein würde.
Die Neuwahl könnte nun den Weg für eine Rückkehr Netanjahus ebnen. Seine Likud-Partei könnte Umfragen zufolge wieder stärkste Kraft werden. Wie bei den vorangegangenen Wahlen ist aber unklar, ob es ihm oder jemand anderem gelingen kann, eine stabile, mehrheitsfähige Regierung zu bilden.
Quelle: dpa, AP, AFP, ZDF