Israel: Ben Gvirs Provokation auf dem Tempelberg

    Israels Sicherheitsminister:Ben Gvirs Provokation auf dem Tempelberg

    Michael Bewerunge
    von Michael Bewerunge
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    Ben Gvirs Provokation auf dem Tempelberg dürfte nicht die letzte gewesen sein. Dass Netanjahu den als rechtsextrem Verurteilten zum Minister gemacht hat, stößt auf breite Kritik.

    Israelische Polizisten sichern das Gelände des Felsendoms in der Altstadt von Jerusalem (Israel), aufgenommen am 03.03.2022
    Felsendom in der Altstadt von Jerusalem
    Quelle: AP

    Er hat es wieder getan. Keine 15 Minuten dauerte der Kurzbesuch von Itamar Ben Gvir auf dem Jerusalemer Tempelberg, es war sozusagen die erste wichtige Amtshandlung eines Mannes, der vom mehrfach verurteilten Rechtsextremisten und Rassisten zum Minister für die nationale Sicherheit aufgestiegen ist. Ben Gvir ist jetzt oberster Dienstherr der Polizei im Lande, Premier Benjamin Netanjahu hat tatsächlich einen Brandstifter zum Chef der Feuerwehr gemacht.
    Wie bei seinem letzten Besuch im Oktober 2022 begleitete Ben Gvir ein Großaufgebot an Polizisten. Damals um ihn argwöhnisch zu bewachen, dieses Mal um ihn zu beschützen. An seinen Zielen hat sich damals wie heute nichts geändert, es geht um die demonstrative Provokation. Die Botschaft des Ultrazionisten: Jerusalem ist unser, ganz Jerusalem.

    Zehntausende Palästinenser leben in Ost-Jerusalem

    Denn noch immer trifft das nicht vollständig zu, trotz der israelischen Eroberung Ost-Jerusalems 1967 und trotz der völkerrechtswidrigen Annexion der Stadt 1980 und der Erklärung von Jerusalem zur Hauptstadt Israels. Noch immer leben Zehntausende Palästinenser in Ost-Jerusalem. Und der Tempelberg hatte seit 1967 immer einen besonderen Status.
    Auch nach der Niederlage Jordaniens behielt das Land die Schirmherrschaft und die Verwaltung über die drittheiligste Stätte des Islam weltweit mit Felsendom und Al Aqsa Moschee. Vom Tempelberg aus soll Mohammed in den Himmel aufgefahren sein, die Muslime nennen ihn "Haram al Sharif", der heilige Ort.

    Streit um den Tempelberg

    Für das Judentum ist der Standort des zweiten Tempels seit jeher das wichtigste Heiligtum. Das Betreten des Allerheiligsten mit der Bundeslade war aber den Hohen Priestern vorbehalten. Die meisten orthodoxen Juden betreten den Tempelberg daher nicht. Sogar die Ultra-Orthodoxen Koalitionspartner von Ben Gvir kritisierten deshalb dessen Besuch.
    Traditionell pilgern Juden zur westlichen Mauer des Tempelbergs, der weltbekannten Klagemauer. Seit Jahrzehnten ist dieser Status umstritten. Grundsätzlich ist es Gläubigen aller Konfessionen erlaubt, den Tempelberg oder die Klagemauer zu besichtigen. Auf dem Tempelberg ist es Nicht-Muslimen aber verboten zu beten.
    Dieser Status wird vor allem von nationalistischen Zionisten in Frage gestellt. Immer wieder versuchen sie den Berg zu stürmen, dort zu beten oder die Gebetsstätte zu schänden. Regelmäßig wird ein Preis ausgesetzt für denjenigen, der es schafft, dort ein Schaf zu schächten.

    Palästinenser sehen Provokation
    :Israels Minister Ben-Gvir besucht Tempelberg

    Allen Warnungen zum Trotz hat Israels neuer Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, den Tempelberg in Jerusalem besucht. Palästinenser sehen darin eine Provokation.
    Israelische Polizisten sichern das Gelände der Al-Aqsa-Moschee in der Altstadt von Jerusalem (Israel), aufgenommen am 03.03.2022

    Gvir will völlige Kontrolle des Tempelbergs

    Ben Gvir gibt vor, lediglich die Bewegungsfreiheit aller Pilger durchzusetzen. Doch letztlich geht es ihm um etwas anderes: die völlige Kontrolle des Tempelbergs - und Ost-Jerusalems. Dort unterstützt er die Eigentumsansprüche zionistischer Organisationen, welche die Zwangsevakuierung palästinensischer Mieter vorantreiben. Nach israelischem Recht sind diese Ansprüche legitim, nach internationalem Recht jedoch völkerrechtswidrig.
    Noch letzten Oktober fuchtelte Ben Gvir im Viertel Sheik Jarach mit seiner Pistole herum und forderte die umstehenden Polizisten auf, Steine werfende Gegendemonstranten niederzuschießen. Neuerdings beteuert er, er habe nichts gegen Araber, wenn sie die Gesetze einhielten. Seine Anhänger rufen davon unbeirrt weiter: "Tod den Arabern". Denn Ben Gvirs politisches Wirken kannte bisher nur eine Agenda: Verdrängung der arabischen Bewohner aus Israel, aus Jerusalem und wenn möglich auch aus dem Westjordanland.

    Kritik von mehreren Seiten

    Entsprechend heftig war die Kritik aus dem In- und Ausland. Die US-Regierung verurteilte den "inakzeptablen" Besuch, man werde sich "allen unilateralen Aktionen" entgegenstellen, die den historischen Status quo hintertreiben würden.
    Auch viele arabische Staaten und die Palästinensische Autonomiebehörde verurteilten die Aktion. Das Ziel sei nicht nur die Aufweichung des Status Quo, sondern die "Judaisierung" von ganz Jerusalem. Dabei geht es nicht nur um die religiöse Bedeutung für die Palästinenser, sondern auch um die politische. In einer wie auch immer gearteten Zweistaatenlösung soll Ost-Jerusalem einmal die Hauptstadt der Palästinenser werden.

    "Provokation" am Tempelberg
    :Deutschland kritisiert israelischen Minister

    In ungewöhnlich scharfer Form hat Berlin den neuen israelischen Polizeiminister Ben-Gvir für den Besuch auf dem Tempelberg kritisiert - wegen Missachtung des Status quo.
    Itamar Ben-Gvir

    Wird sich Geschichte wiederholen?

    Yair Lapid, israelischer Ex-Premier und jetziger Oppositionsführer kommentierte lakonisch:

    Das ist, was passiert, wenn ein schwacher Premierminister gezwungen ist, dem unverantwortlichsten Mann im Nahen Osten den explosivsten Ort dort anzuvertrauen.

    Yair Lapid, israelischer Ex-Premier

    Den Stellenwert dieses Ortes macht der Besuch von Ministerpräsident Ariel Scharon im Jahr 2000 deutlich. Danach rief Yassir Arafat die zweite Intifada aus, einen Terror-Krieg gegen Israel, mit über tausend getöteten Israelis, der am Ende aber auch Tausende Palästinenser das Leben kostete.

    PLO berät über Konsequenzen

    Bisher hat nur die Hamas mit gewaltsamen Reaktionen gedroht. Die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO unter Präsident Mahmoud Abbas berät an diesem Donnerstag über Konsequenzen.
    Für Itamar Ben Gvir aber ist der Auftritt auf dem Tempelberg nur der Anfang. Weitere Aktionen in Jerusalem und im Westjordanland sind zu befürchten. Und eine weitere Eskalation der Gewalt. Wer Wind sät, wird Sturm ernten.
    Michael Bewerunge ist Korrespondent im ZDF-Studio Tel Aviv.

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