Bei der Nachfolger-Suche für Boris Johnson drohen der Konservativen Partei in Großbritannien schwere Zeiten. Klare Kandidaten: Fehlanzeige. Und dann ist da noch Boris Johnson.
Die Nerven in der Konservativen Partei liegen blank, der Kampf ums Erbe von Boris Johnson dürfte zu einer Schlammschlacht werden. "Die nächsten Wochen werden furchtbar", zitierte die Zeitung "Times" ein anonymes Kabinettsmitglied.
Die Partei werde letztlich zerrissen werden. Kaum hatte der britische Premierminister seinen Rückzug angekündigt, brachen die Gräben auf. Bereits am Abend fielen potenzielle Kandidaten und ihre Unterstützer in einer Mischung aus Untergangsstimmung und Bürgerkrieg auf einer Party übereinander her.
Johnson-Nachfolge-Suche: Mix aus Verrat, Pakten und Brutalität
Da gibt es Vorwürfe über außereheliche Affären, Verletzungen der Corona-Regeln und dubiose Wirtschaftsverbindungen, wie die "Times" schrieb. Abgeordnete würden daran erinnert, welche Leichen die anderen Bewerber im Keller haben. Die Partei will den Auswahlprozess bis zur Sommerpause des Parlaments am 21. Juli durchpeitschen.
Bis Dienstag ist Zeit für Bewerbungen, wie die Zeitung "Telegraph" berichtete. Das zuständige Parteikommittee wolle bei seiner Sitzung an diesem Montag den Auswahlprozess reformieren. Demnach müssten Interessenten die Rückendeckung von 20 Abgeordneten haben und nicht mehr von acht.
Rishi Sunak ist Symbol für Zerissenheit der Tories
An Ex-Finanzminister Rishi Sunak, der die Unterstützung ranghoher Tories genießt, ist beispielhaft zu sehen, wie zerrissen die Partei ist. Die einen loben den 42-Jährigen für seine Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung in den Himmel.
Die anderen schmähen den Politiker, der der erste Premier mit asiatischen Wurzeln wäre, als Sozialisten. Obwohl er sich lange dagegen wehrte, hatte Sunak im Kampf gegen explodierende Kosten eine zusätzliche Steuer auf Gewinne von Energiekonzern erlassen.
Eine Neuwahl könnte die Tories die Mehrheit im Parlament kosten
Geht es nach der konservativen Basis, haben Handelsministerin Penny Mordaunt und Außenministerin Liz Truss ebenso wie Sunak gute Aussichten. Der beliebteste Tory, Verteidigungsminister Ben Wallace, verzichtet.
Wenn das Rennen dann entschieden ist - laut "Telegraph" soll das bis zum 5. September der Fall sein -, dürfte die Schlammschlacht noch lange nicht vorbei sein. Viele fordern bereits, dass die Siegerin oder der Sieger eine Neuwahl ausruft.
Das Problem: In Umfragen liegen die Tories deutlich hinter der oppositionellen Labour-Partei. Das spiegelt sich in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im "Times"-Auftrag wider: Hätte die Öffentlichkeit die Wahl, hießen die aussichtsreichsten Bewerber mit großem Vorsprung "keiner von ihnen" und "weiß ich nicht".
Boris Johnson dürfte den Neustart nicht einfacher machen
Und dann ist da noch Boris Johnson. Der Schatten des Noch-Premiers dürfte noch lange über seiner Partei schweben. Zumal Johnson wohl keinesfalls im Stillen abtreten wird.
Den Rücktritt als Parteichef hat Johnson vor 10 Downing Street verkündet. Sein Amt als Premierminister will er jedoch noch bis Oktober behalten. Ein Abschied auf Raten.
Schon bei seiner Rückzugsankündigung begann der 58-Jährige, eine Dolchstoßlegende zu stricken. Die Partei habe die "exzentrische" Entscheidung getroffen, dass eine neue Führung nötig sei, trotz seiner Erfolge und des "überwältigenden Mandats", sagte Johnson da. Von Einsicht keine Spur. Das Wort "Rücktritt" nahm der Populist nicht in den Mund.
Johnson hat noch immer Unterstützer. Die Partei werde den Tag bereuen, an dem sie den Premier absägte, schimpfte der Abgeordnete Christopher Chope. Die Atmosphäre ist aufgeheizt. "Schreibt ihn nicht ab", werben die Unterstützer.
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