Hat der russische Waffenkonzern Kalashnikov trotz Sanktionen Lieferungen aus Deutschland erhalten? ZDFheute hat interne E-Mails aus Russlands Rüstungsindustrie ausgewertet.
Deutsche Produkte für russische Waffen?
Wenige Waffen sind so bekannt wie Sturmgewehre vom Typ Kalashnikov. Der gleichnamige Konzern produziert nach eigenen Angaben 95 Prozent aller russischen Kleinwaffen und ist wichtiger Ausrüster der russischen Streitkräfte. Seit der Krim-Besetzung 2014 steht er auf Sanktionslisten der Europäischen Union. Wegen des Ukraine-Kriegs ist aktuell fast jede Kooperation mit dem Unternehmen untersagt.
Anfang April 2022 veröffentlichen Anonymous-Hacker Tausende interne E-Mails aus dem Kalashnikov-Konzern. Sie reichen vom Sommer 2021 bis Ende März 2022 - nach Beginn der russischen Invasion. ZDFheute und ZDF frontal haben die Dokumente ausgewertet. Sie zeigen, wie Kalashnikov ein Netzwerk an Partner- und Tarnunternehmen nutzt, um trotz westlicher Sanktionen an Material und Werkzeug zu kommen. Spuren führen auch nach Belgien und zu einem deutschen Mittelständler.
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Munitionsfabrik sollte über Tarnfirma gekauft werden
Die geleakten E-Mails stammen aus der Maschinenfabrik von Lipetsk (LMZ), 350 Kilometer südlich von Moskau. Dieses Werk fertigt seit Jahrzehnten Kettenfahrzeuge für Flugabwehrsysteme. Anders als Kalashnikov steht LMZ nicht explizit auf EU-Sanktionslisten, gehört aber zur gleichen Firmengruppe.
Das versuchte Kalashnikov beim Kauf einer Fertigungsanlage für Munition im Ausland offenbar auszunutzen: Am 29. November 2021 schrieb eine Referentin von Kalashnikov-Chef Wladimir Lepin an den kaufmännischen Leiter bei LMZ:
Im Anhang der E-Mail befinden sich fünf von Kalashnikov vorformulierte Anschreiben an Firmen in Frankreich, Italien, Belgien und der Türkei:
Noch am gleichen Tag bestätigt das Werk in Lipetsk, dass die Schreiben mit LMZ-Briefkopf an die ausländischen Firmen versendet wurden. Kalashnikov wird darin nirgendwo erwähnt.
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Belgisches Unternehmen schickte Dokumente nach Russland
Ein Unternehmen aus Belgien reagierte auf das Anschreiben vom LMZ - New Lachaussée aus Herstal, einem der Zentren der belgischen Waffenindustrie. Das bestätigt New Lachaussée ZDFheute auch auf Anfrage:
Doch die geleakten Daten zeigen: Zwischen dem 3. und 6. Dezember tauschte ein russischer Repräsentant von New Lachaussée mehrere Nachrichten mit LMZ aus, eine E-Mail verweist auch auf ein Telefongespräch. Der Repräsentant stellte LMZ mehrere Dokumente zur Verfügung, die sich wie ein Kostenvoranschlag lesen: darunter technische Zeichnungen und eine Preisliste. Jede dieser E-Mails wurde von LMZ im Hintergrund an Kalashnikov weitergeleitet.
Auf Nachfrage erklärt New Lachaussée, vielleicht habe der russische Vertreter Informationen ohne Rücksprache weitergegeben. "In jedem Fall hat New Lachaussée kein formelles, verbindliches Angebot abgegeben."
Ein Kostenvoranschlag für eine russische Munitionsfabrik?
Im Kalashnikov-Leak ebenfalls enthalten sind Dateien von New Lachaussée aus dem Oktober 2020. Sie sind an ein weiteres russisches Rüstungsunternehmen gerichtet, die Munitionsfabrik in Tula. Darunter ist eine Preisliste für eine fast 1,6 Millionen Euro teure Fertigungsanlage. Auch Details wie tägliche Kosten zur Schulung von Mitarbeitern vor Ort werden genannt.
New Lachaussée bestätigt ZDFheute: Im Oktober 2020 habe man tatsächlich einen "indikativen Kostenvoranschlag" an die sanktionierte Tula-Munitionsfabrik geschickt. "Der Grund war, internationale Konkurrenz, die nach wie vor Zugang zum russischen Markt hat, unter Druck zu setzen. Es gab keine Absicht oder Hoffnung, ein Geschäft mit dieser Firma abzuschließen", schreibt New Lachaussée ZDFheute.
Auch dieses Geschäft sei nicht zustande gekommen. Belege für eine erfolgte Lieferung gibt es nicht.
Sanktionsexperte: Schon Kostenvoranschläge könnten juristisch relevant sein
Wenige Tage später erhält ZDFheute ein Anwaltsschreiben im Namen New Lachaussées, worin man sich jede Nennung in Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg verbittet. New Lachaussée habe den Kontakt zu LMZ "lange vor Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine" beendet.
Für den Anwalt und Sanktionsexperten Viktor Winkler kann schon das Versenden eines Kostenvoranschlags juristisch relevant sein: "Es ist falsch zu glauben, dass allein dadurch, dass noch nichts geliefert worden ist, man hier sanktionsrechtlich keine Bedenken hat. Das Gegenteil ist der Fall."
Ob Behörden und Strafverfolger das auch so einschätzen, ist offen.
Aufrüstung zur Abschreckung: Es ist Krieg in Europa. So reagiert die Nato auf Russlands Angriff auf die Ukraine.
Deutsche Spezialwerkzeuge auf Kalashnikov-Einkaufsliste
Auch bei anderen Beschaffungsvorhaben greift Kalashnikov auf sein Netzwerk zurück. Am 3. Dezember 2021 schickte Kalashnikov eine Liste an LMZ und andere Partner, worin der Werkzeugbedarf des Konzerns zwischen 2020 und 2022 aufgezählt wird. Fast 12.000 Einträge umfasst die Tabelle; Werkzeuge im Wert von fast neun Millionen Euro, allein für das Jahr 2022.
Darunter sind Produkte deutscher Hersteller, insbesondere Bohrwerkzeuge des schwäbischen Herstellers Gühring. Laut der geleakten Datei nutze die Kalashnikov-Gruppe in den Jahren 2020 und 2021 Gühring-Werkzeuge für Hunderttausende Euro. Für 2022 plante Kalashnikov laut der Tabelle, Gühring-Produkte im Wert von rund einer Million Euro zu kaufen.
Mit der Kalashnikov-Liste konfrontiert, teilte Gühring ZDFheute mit:
Gühring verurteile den russischen Angriff auf die Ukraine.
Lieferungen über einen russischen Großhändler?
Doch die ausgewerteten E-Mails geben Hinweise darauf, wie die Gühring-Werkzeuge zu Kalashnikov gelangt sein könnten. Am 3. November 2021 schickt Alexei Tscheresow, Einkaufsleiter von Kalashnikov, eine Liste mit Bezugsquellen für Spezialwerkzeuge internationaler Hersteller an LMZ und andere Partner.
Für Gühring wird dort ein russischer Großhändler namens PKF-Technology genannt. Auf der PKF-Webseite wirbt man stolz, seit Jahren zertifizierter Gühring-Vertriebspartner zu sein. Auch Kontakte in die russische Rüstungsindustrie muss man nicht lange suchen: Die PKF-Startseite zeigt Firmenlogos von Waffenkonzernen, etwa vom Atomraketen-Hersteller Votkinsk-Maschinenfabrik oder von der Kalashnikov-Marke Baikal.
Nachfragen zu PKF beantwortet Gühring nicht, sondern teilt ZDFheute allgemein mit, man weise Vertriebspartner an, geltende Sanktionen und Embargos umzusetzen. "Unsere Vertriebspartner wissen, dass dies Grundlage für den Fortbestand der Geschäftsbeziehung ist." Man käme sämtlichen Prüferfordernissen im Rahmen der Sanktionen zu jeder Zeit nach. Kalashnikov, das Werk in Lipetsk und PKF Technologies reagierten nicht auf Anfragen von ZDFheute.
Verstieß Gühring so gegen Russland-Sanktionen?
Nach Russland exportierte Gühring-Werkzeuge könnten also über Mittelsmänner an Kalashnikov gelangt sein. Hätte der Mittelständler mit 8.000 Mitarbeitern so EU-Sanktionen verletzt? Viele Werkzeuge gelten laut EU-Sanktionen als sogenannte Dual-Use-Güter, das heißt, sie können sowohl für militärische wie auch zivile Zwecke eingesetzt werden.
Das für die Prüfung zuständige Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (Bafa) teilt ZDFheute mit: Der Export von Dual-Use-Produkten nach Russland sei genehmigungspflichtig, wenn sie "für die Entwicklung, die Herstellung oder die Wartung von Rüstungsgütern" verwendet werden. Diese sogenannte "Catch-All-Klausel" aus der EU-Dual-Use-Verordnung komme laut Bafa für die fraglichen Gühring-Produkte in Betracht.
Einigung beim Öl-Embargo. Diese Sanktionen hat die EU Ende Mai gegen Russland beschlossen.
Auch Sanktionsexperte Winkler betont: "Genau für diesen Fall gibt es die Klausel." Mit so harmlosen Produkten wie Bohrern könnte sich ein Waffenhersteller voll von dem Embargo befreien, sagt Winkler.
"Sie haben als Unternehmen eine Pflicht zu wissen, wer genau ihr Geschäftspartner ist", sagt Winkler. Deutsche Hersteller müssten prüfen, wohin die Güter in Russland gelangten. "Und so wie es aussieht, wurde das hier nicht getan." Zu welcher Einschätzung die zuständigen Behörden kommen, ist unklar.
Gühring beendet alle Russland-Geschäfte
Am 24. Mai, wenige Wochen nach der ersten ZDFheute-Anfrage, verkündete Gühring auf seiner Webseite, alle Russland-Geschäfte einzustellen. In der Ukraine töten Kalashnikov-Waffen in den Händen der russischen Armee weiter - Tag für Tag. Zur Produktion dieser Waffen hat Kalashnikov Hilfe aus Deutschland beansprucht und diese in Form von Werkzeugen wohl auch bekommen.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
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