Signal im Kampf gegen Gewalt an Kindern: Am Jahrestag der UN-Konvention eröffnet Schwerin eine Anlaufstelle für misshandelte Kinder. Wie steht es um Kinderrechte in Deutschland?
Im Mittelpunkt steht das Wohlbefinden der Kinder: helle Räume, Spielzeug und Sofas finden sich im neuen "Childhood-Haus" in Schwerin. Die Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern schließt damit eine Lücke in der Aufarbeitung von Straftaten. Das Datum ist nicht zufällig: Vor genau 30 Jahren ist Deutschland der UN-Konvention für Kinderrechte beigetreten.
Bundesweit sieben geschützte "Childhood-Häuser"
Hier wird Kindern und Jugendlichen, die Gewalt erleiden mussten, an einem geschützten Ort ganzheitliche Unterstützung angeboten. Es ist das erste Haus dieser Art in Mecklenburg-Vorpommern und das siebte bundesweit. Nach einem Jahr Förderung durch die World Childhood Foundation der schwedischen Königin Sylvia will die Stadt Schwerin es in einem Jahr auch finanziell übernehmen und hofft auf Unterstützung, etwa durch das Land. Kosten von 150.000 Euro jährlich gilt es zu stemmen.
Rechtsmedizin, Polizei, Jugendamt - alle kommen nun zu Vernehmungen und Untersuchungen zu den Kindern - bisher war das umgekehrt", sagt Leiterin Nadine Schirrmacher. Im Verdachtsfall fanden die Vernehmungen der Kinder bislang in karg anmutenden Zeugenzimmern oder gar im Schweriner Krematorium statt. Dort befindet sich nämlich die Außenstelle der Rostocker Rechtsmedizin.
Sexuelle Gewalt an Kindern stark gestiegen
In der neuen ambulanten Anlaufstelle könnten erneute Traumata durch die Untersuchungen bei einem missbrauchten Kind vermieden oder reduziert werden, hofft Nadine Schirrmacher vom Childhood-Haus. Auch Beratung und Krisen-Interventionstherapie wird Opfern und ihren Familien hier angeboten.
Mit fünf bis sieben Fällen pro Woche rechnet die Leiterin, das sei die Erfahrung aus vergleichbar großen Städten. Durch die Corona-Pandemie ist sexuelle Gewalt gegen Kinder auch in Mecklenburg-Vorpommern stark gestiegen. 383 Fälle wurden im vergangenen Jahr registriert - ein Plus von 20,1 Prozent.
Beitritt von Deutschland am 5. April 1992
Die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention ist wichtiger denn je. Darin ist das Recht auf Schutz, gewaltfreies Aufwachsen, Bildung und Entwicklung von Kindern verankert. Am 5. April 1992 wurde sie in Deutschland ratifiziert - das Gesetz wurde von der damaligen Bundesfamilienministerin Angela Merkel miteingebracht. Es ist eine Verpflichtung, die UN-Vorgaben konsequent umzusetzen.
Stichwort: Die UN-Kinderrechtskonvention
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So bekamen etwa Vorhaben wie die Reform des Umgangsrechts (Gleichstellung ehelicher / unehelicher Kinder), das Recht auf Kitabetreuung oder das Gesetz zur Achtung der Gewaltfreiheit in der Erziehung erst richtig Rückenwind, zieht Claudia Kittel Bilanz. Sie ist Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention am Deutschen Institut für Menschenrechte.
Forderung: Kinder über ihre Rechte aufklären
Es gäbe in Deutschland aber noch viel Luft nach oben, meint Kittel. Noch immer fänden Kinder und Jugendliche bei wichtigen Entscheidungen sie betreffend nicht Gehör; etwa in der Kommunal-, Bildungs- und Verkehrspolitik oder in der Corona-Pandemie.
"Die Regierung hat hier gerade am Anfang Spielplätze oder Schulen geschlossen, ohne mit Kinder- bzw. Schülervertretern zu sprechen", sagt Claudia Kittel. Neue gesellschaftliche Herausforderungen wie Klimawandel oder Digitalisierung machen deutlich: Es ist wichtig, dass die junge Generation, die nicht mit am politischen Entscheidungstisch sitzt, Durchsetzungskraft bekommt.
Stärkung der Persönlichkeit
Möglich wäre das durch mehr Kinderschutz-Beauftragte in den Ländern, Gremien für mehr Austausch oder bessere Datenerhebung zu Wirkung von Maßnahmen. Und: Kinder müssen besser über ihre Rechte aufgeklärt werden. Noch immer ist die UN-Kinderrechtskonvention kein verbindlicher Bestandteil in Lehrplänen oder in Kitas.
Kinderbüros wie in Münster, rund 40 kinderfreundliche Kommunen in der Bundesrepublik, Kinderrechte in der Landesverfassung wie in Hessen - das alles sind freiwillige Initiativen. Der Nordosten plant derzeit ein Kinderschutzgesetz, das Kinderrechte und Anlaufpunkte stärken soll. Alles fange aber mit einer Erziehung zu selbstbestimmten Persönlichkeiten an, meint Kinderrechtlerin Kittel:
Anja Kapinos ist Mitarbeiterin im ZDF-Landesstudio Mecklenburg-Vorpommern