Fall Lügde: Das Leid der Kinder - Alle haben weggesehen

    Skandal um Kindesmissbrauch:Lügde: Alle haben weggesehen

    von Dorthe Ferber
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    Der riesige Missbrauchskomplex auf dem Campingplatz in Lügde wurde 2019 bekannt, er beschäftigt den NRW-Landtag bis heute. Eine ZDFinfo Doku-Reihe beleuchtet das Geschehen.

    Parzelle des mutmaßlichen Täters. Archivbild
    Der Haupttäter war Dauercamper auf dieser Parzelle. (Archivbild)
    Quelle: Guido Kirchner/dpa

    Der "Fall Lügde" schockiert Deutschland im Januar 2019: Jahrzehntelang haben sich Männer auf einem Campingplatz im beschaulichen Weserbergland an Dutzenden Kindern vergangen. Der Missbrauch wird live gestreamt für weitere Täter, die Polizei findet riesige Mengen an Bildmaterial.
    Bei den Ermittlungen kommt es dann zu zahlreichen Pannen und zu vielen Fragen: Wie kann Missbrauch an einem so öffentlichen Ort überhaupt unbemerkt geschehen? Welche Rolle spielen die Behörden in einem Fall, in dem gleich zwei Jugendämter beteiligt waren?

    Ein Mann hält die Hand eines Mädchens.
    Quelle: ZDF/Mona Eing, Michael Meissner

    Die ZDFinfo-Doku "Die Kinder von Lügde – Alle haben weggesehen" sehen Sie am Freitag, 18. November 2022, um 20:15 Uhr im ZDF und jederzeit in der ZDFmediathek.

    Pflegetochter: Zugleich Opfer und Lockvogel

    Der Haupttäter von Lügde ist ein alleinstehender Mann, der als Dauercamper auf einer verwahrlosten Parzelle auf dem Campingplatz haust. Ein arbeitsloser und kinderloser Mann, der trotz einschlägiger Hinweise auf Pädophilie vom Jugendamt 2016 ein Kind zur Pflege bekommt.
    Er vergewaltigt diese Pflegetochter im Kindergartenalter regelmäßig, nutzt sie zugleich als Lockvogel für weitere Kinder, die er zum Spielen einlädt. Es gibt weitere Hinweise ans Jugendamt, von einem besorgten Vater, einer Jobcenter-Angestellten, einer Erzieherin - aber niemand schreitet ein.
    Paus: "Prävention" von Kindesmissbrauch
    "Noch brutalere Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern" forderten bessere Straftäterverfolgung und die "Sensibilisierung" der Bevölkerung, so Bundesfamilienministerin Lisa Paus (B'90/Die Grünen).01.06.2022 | 6:50 min
    Erst, als die Mutter eines betroffenen Mädchens den Mann wegen wiederholten Missbrauchs ihrer Tochter anzeigt, kommt der Fall ans Licht.

    Polizei scheint überfordert

    Es melden sich immer mehr Familien, die Polizei reagiert überfordert: Es kommt zu Ermittlungsfehlern, die bis heute nicht vollständig aufgeklärt sind. Dennoch gelingt die Verurteilung der Täter, die inzwischen ihre langjährigen Haftstrafen absitzen - mit anschließender Sicherheitsverwahrung.
    Seit 2019 versucht ein Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag, die Verantwortung der Behörden zu klären. Warum schritten sie trotz der verschiedenen Hinweise nie ein? Warum wurde teilweise die Weitergabe von Hinweisen aktiv unterbunden? Wie konnte es dazu kommen, dass aus einer Polizeidienststelle wichtige Beweismittel verschwanden, warum wurden Spuren am Tatort nicht gesichert?
    Inzwischen steht die These eines Netzwerks im Raum, die Ermittlungen hätten sich viel zu sehr auf die drei Haupttäter konzentriert. Nun wollen die Abgeordneten Polizisten befragen, inwieweit sie mögliche weitere Täter ins Visier genommen haben.
    Auch sollen Unterlagen aus Niedersachsen angefordert werden, um zu klären, ob es noch weitere Täter aus anderen Bundesländern gibt.

    In der gesellschaftlichen Diskussion wird häufig vertreten, dass der Begriff "Kinderpornografie" unpassend sei, da er Gewalt gegen Kinder verharmlose. Es gibt für diese Ansicht gute Argumente. Der strafrechtliche Paragraf § 184b StGB spricht jedoch von der Verbreitung von "kinderpornografischen" Schriften. Im Alltag wird auch oft der Begriff "Sexualisierte Gewalt gegen Kinder" oder "dokumentierter Kindesmissbrauch" verwendet.

    Viele Betroffene noch immer ohne Entschädigungen

    Der Fall Lügde findet kein Ende. Vor allem nicht für die betroffenen Kinder. Von 43 haben gerade einmal sechs Kinder Entschädigungszahlungen erhalten. Bei vielen Kindern dauere die "administrative und medizinische Sachverhaltsaufklärung" noch an, heißt es - mehr als drei Jahre nach der Verurteilung der Täter.
    Eine Entschädigungszahlung kann das Leid der Kinder ohnehin nicht aufwiegen, sondern nur formal anerkennen. Eine inzwischen erwachsene Betroffene sagt in der ZDFinfo Doku:

    Es zerstört das ganze Leben. Ich sehe das bei mir.

    Betroffene

    Dorthe Ferber leitet das ZDF-Studio Düsseldorf.

    Die vierteilige ZDFinfo Doku zum Fall Lügde: