Seit Jahren verspricht Kardinal Woelki Aufklärung über sexualisierte Gewalt. Wer sind die Täter? Wer hat vertuscht? Doch viele Betroffene haben den Glauben an Aufklärung verloren.
Heinrich Kneip hat das Gesicht seines Peinigers in Bronze ausgearbeitet. Die Skulptur, die Pater H. darstellt, hat keine Arme und keinen Unterleib. Der Torso hängt an einem Kreuz. Der Künstler erklärt:
Der Missbrauch geschah vor mehr als 60 Jahren und bewegt Heinrich Kneip bis heute. Auch seine zwei jüngeren Brüder waren Pater H. als Messdiener in Hennef im Erzbistum Köln ausgeliefert.
"Das Verhalten des Erzbistums hat uns traumatisiert"
Jetzt kommen die Erinnerungen wieder hoch. Denn der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki hatte Aufklärung angekündigt. Doch der Kardinal hält das Gutachten, das Täter und Vertuscher benennen sollte, seit einem Jahr unter Verschluss - aus juristischen Gründen.
- Bätzing: Aufklärung ist Desaster
Der Chef der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, nennt die Missbrauchsaufklärung im Erzbistum Köln ein Desaster, stärkt Kardinal Woelki aber auch den Rücken.
"Für die Kirche ist es wichtiger, dass sie keinen Schaden nimmt, anstatt die Opfer ernst zu nehmen und ihnen zu helfen," fügt Peter Kneip hinzu. Sein Bruder Karl-Josef erzählt unter Tränen:
Gutachter Wastl: Ganz überwiegend kein Schuldbwusstsein
Die Kanzlei von Ulrich Wastl hat das Gutachten für das Kölner Erzbistum geschrieben, das unter Verschluss ist. Zum ersten Mal sprach der Rechtsanwalt darüber im ZDF-Magazin Frontal 21 vor der Kamera. Besonders strittig sind zwölf Stellen, die "moralisch gefärbt" seien, so der Vorwurf, den Wastl zurückweist:
"Dies gilt umso mehr als die von uns als verantwortlich identifizierten Personen ganz überwiegend jegliches Schuldbewusstsein vermissen lassen," so Wastl weiter.
"Schutz der Verantwortlichen stellen sie über alles"
Dass es auch anders geht, zeigt das Bistum Aachen. Hier hatte Wastl den gleichen Auftrag, und der Bischof veröffentlichte das Gutachten im November 2020. Neben den Aufklärern gebe es in der katholischen Kirche aber immer noch das Lager der Verzögerer, sagt Wastl im Interview mit Frontal 21:
"Das Lager der Verzögerer will klipp und klar nach wie vor den Schutz der Institution, den Schutz der Täter und den Schutz der Verantwortlichen über alles stellen."
Zahl der Kirchenaustritte in Köln steigt
Im Erzbistum Köln ist der Missbrauchsskandal längst zum Aufarbeitungsskandal geworden. Und die Zahl der Kirchenaustritte in Köln ist in den vergangenen Jahren gestiegen - auf über 10.000.
Im Jahr 2020 hat das Amtsgericht wegen Corona weniger Termine angeboten. Dieses Jahr waren dann alle Austrittstermine bis Mai innerhalb kürzester Zeit ausgebucht. Wenn der Trend so anhält, würde in Köln ein neuer Austrittsrekord erreicht.
Auch ranghohe Kirchenmitglieder treten aus
Auch Oliver Vogt ist jetzt ausgetreten. Dabei hat der gläubige Katholik jahrzehntelang für die Kirche gearbeitet, war Beauftragter des Erzbistums Köln für den Umgang mit sexuellem Missbrauch. Bis Vogt das Verhalten der Bistumsleitung nicht mehr aushielt. Im Frontal-21-Interview sagt Vogt "der Umgang mit den Betroffenen war nicht im Blick". Und weiter:
"Das Thema Verantwortungsübernahme ist letztendlich das, wo ich gesagt habe: Ich kann und will diese Tätigkeit so nicht mehr ausüben."
Woelki verspricht weiter Aufklärung
Am 18. März will Erzbischof Woelki ein neues, zweites Gutachten, das er in Auftrag gegeben hat, der Öffentlichkeit präsentieren. Der Kardinal verspricht weiterhin Aufklärung. Viele Betroffene aber haben den Glauben daran verloren.