Alte Grenzkonflikte, neue Tote: Es gibt heftige Gefechte zwischen Kirgistan-Tadschikistan und Armenien-Aserbaidschan. Auch, weil Regionalmacht Russland in der Ukraine gebunden ist?
Am Donnerstag und Freitag kamen im usbekischen Samarkand die Staats- und Regierungschefs vieler eurasischer Staaten zusammen. Auch die Präsidenten von Kirgistan und Tadschikistan, Sadyr Dschaparow und Emomalij Rahmon, trafen dort aufeinander.
Während beide Politiker auf dem Gipfel in Usbekistan weilten, eskalierte die Lage daheim. Raketen und Geschosse flogen über seit Jahrzehnten umstrittene Grenzabschnitte beider Staaten, Videos von Freitag zeigten, wie tadschikische Truppen in grenznahe Ortschaften des Nachbarlandes einrückten.
Waffenstillstand von Freitag hat nicht gehalten
Ein noch auf dem Gipfel verkündeter Waffenstillstand zeigte keine bleibende Wirkung. Am Samstag gingen die Gefechte weiter. Beide Seiten machen sich gegenseitig verantwortlich. Die Behörden in Tadschikistan warfen den kirgisischen Soldaten vor, sie hätten eine Moschee zerstört und auf zivile Infrastruktur wie Wohnhäuser gezielt.
Die Bilanz: bislang mindestens 24 Tote und über 100 Verletzte nach Angaben des kirgisischen Gesundheitsministeriums. 136.000 Menschen sollen bereits in Sicherheit gebracht worden sein. Von tadschikischer Seite lagen zunächst keine Informationen vor.
Worum geht es im Kirgistan-Tadschikistan-Konflikt?
Der Konflikt zwischen beiden Ländern reicht Jahrzehnte zurück. "Hintergrund sind ungelöste Grenzfragen in der Region. Teile der knapp 1.000 Kilometer langen, noch zu sowjetischer Zeit gezogenen Grenze sind nicht delimitiert, ihre Zugehörigkeit ist umstritten", erklärt Andrea Schmitz, Eurasien-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, gegenüber ZDFheute.
Wo kirgisische und tadschikische Siedlungen im Grenzgebiet dicht nebeneinander liegen, brächen seit Längerem immer wieder heftige Konflikte auf, so Schmitz. "Ausgelöst durch Zuwanderung und Konkurrenz um Land und Wasser."
In der gleichen Gegend, die auch jetzt Fokus der Kämpfe ist, war es schon im April 2021 zu Gewalt gekommen. Vor allem die Region Batken auf der kirgisischen Seite der Grenze steht im Fokus. "Ein Waffenstillstand und Verhandlungen haben die Gewalt damals beendet, aber die Konfliktursachen nicht beseitigt", sagt Schmitz.
Das Risiko bewaffneter Konflikte werde auch dadurch erhöht, dass Kirgistan wie Tadschikistan ihre Grenze zuletzt immer stärker militarisiert haben, berichtet Schmitz. Auf beiden Seiten seien schwere Waffen und Kampfdrohnen vom Typ Bayraktar von der Türkei gekauft worden.
Erneut Tote im Bergkarabach-Konflikt - trotz russischer Truppenpräsenz
Auch der Kaukasus stand in dieser Woche wieder kurz vor einem Krieg. Aserbaidschan griff nach Monaten relativer Ruhe erneut Ziele in Armenien an. Im Herbst 2020 hatte Aserbaidschan einen Krieg gegen sein Nachbarland gewonnen und in der Folge Kontrolle über große Teile der umstrittenen Region Bergkarabach übernommen.
Besonders brisant: Den dortigen Waffenstillstand sollte Russland garantieren und ist an mehreren Orten mit Grenzschützern präsent. Sie konnten die Eskalation aber nicht verhindern, sollen sogar selbst Ziel von Angriffen geworden sein.
Mehr als 200 Menschenleben forderten die Kämpfe in dieser Woche, seit Donnerstag gilt eine Waffenruhe. Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, will am Samstag nach Armenien reisen. Weitere Angaben zum Besuch machte Pelosi nicht.
Was bedeuten die Konflikte für die Regionalmacht Russland?
Kirgistan, Tadschikistan und auch Armenien gehören zum von Russland angeführten Militärbündnis OVKS. Die darin organisierten post-sowjetischen Staaten erhalten Sicherheitsgarantien von Russland. OVKS-Truppen wurden etwa eingesetzt, um im Januar 2022 Proteste gegen die kasachische Regierung niederzuschlagen. Als Armenien nun um Beistand im aktuellen Konflikt bat, ignorierte Russland diese Rufe.
"Aserbaidschans Angriff auf Armenien ist ein Albtraum-Szenario für Putin. (...) Jetzt muss er einige Truppen finden, die er Armenien zu Hilfe schicken kann - oder die OVKS, Russlands Antwort auf die Nato, steht als Papiertiger da", schrieb der kanadische Korrespondent Mark MacKinnon auf Twitter. Aserbaidschan und andere Staaten hatte das Bündnis 1999 verlassen, nun werden auch in Armenien Stimmen laut, die einen Austritt fordern.
Russlands Einfluss in der Region schwindet. Davon könnte einerseits China profitieren - etwa durch sein Megaprojekt Neue Seidenstraße. Diese verläuft quer durch Zentralasien. In der Folge könnten mittelfristig aber auch alte und eingefrorene Konflikte, zwischen- wie innerstaatlich, vom Kaukasus bis Zentralasien wieder in Bewegung geraten.