Der Streit um AKW-Laufzeiten spitzt sich zu. Im Fokus: ein Gutachten des TÜV-Süd. Für die Union ein Argument für den Weiterbetrieb. Greenpeace nennt es ein Gefälligkeits-Gutachten.
Würde es in der aktuellen Gas-Krise helfen, die drei noch laufenden Atomreaktoren über den 31. Dezember hinaus am Netz zu lassen? Darüber ist ein erbitterter Streit ausgebrochen. Die einen sagen ja, die anderen nein, die Bundesregierung will auf den Stresstest abwarten. Und alle bezichtigen sich, mit gezinkten Karten zu spielen. Stein des Anstoßes: ein Gutachten.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem CDU- oder CSU-Politiker, vor allem aus dem Süden, die Laufzeitverlängerung fordern. Am Freitag wieder: CDU-Vorsitzender Friedrich Merz teilte per Twitter mit: "Wenn selbst der TÜV sagt, dass ein Weiterbetrieb kein Problem sei, wäre es in der Bundesregierung an der Zeit, die Voraussetzungen zu schaffen."
Zweifel am TÜV-Gutachten
Doch an dem Gutachten des TÜV-Süd gibt es Zweifel. Im Auftrag des Bayerischen Umweltministeriums hatte man dort den Weiterbetrieb des Kraftwerks Isar 2 und die Wiederinbetriebnahme des Blocks C in Gundremmingen geprüft. In beiden Fällen, so die Gutachter: keine Bedenken. Isar 2 laufe noch bis 31. Dezember, auch darüber hinaus würden dem "nichts entgegenstehen". Bis August 2023 könnten etwa 5.160 Gigawattstunden Strom produziert werden. Wenn neue Brennelemente bestellt werden, auch "über den Herbst 2023 hinaus".
15 Prozent weniger Gas soll ab Montag in den EU-Ländern verbraucht werden. Um in der Energiekrise gegenzusteuern, wird die Debatte um deutsche Atomkraftwerke wieder laut.
Der Block C des Kraftwerkes Gundremmingen ist schon seit Januar abgeschaltet. Nach Meinung des TÜV-Süd sei es "plausibel", dass dort mit den vorhandenen Brennelementen noch etwa sechs Monate 4.900 Gigawattstunden Strom erzeugt werden kann. Alle Maßnahmen, die zum Rückbau eingeleitet worden seien, könnten rückgängig gemacht werden, alle Genehmigungen seien noch in Kraft.
Kanzlei: Eine "schlampige Auftragsarbeit"
Greenpeace hat nun eine Hamburger Anwaltskanzlei beauftragt, die sich das TÜV-Gutachten angeschaut hat und nun erhebliche Zweifel anmeldet. Der Verdacht: Die bayerische Staatsregierung habe das Gutachten beim TÜV-Süd bestellt.
Das ganze Gutachten klinge "mehr nach Mutmaßungen als nach Überprüfung" und könne daher keine Begründung für das "Wiederanfahren einer hoch gefährlichen Anlage" sein.
Ein Vorwurf: Statt richtig nachzurechnen, hätten die TÜV-Prüfer beispielsweise nicht berücksichtigt, dass ein Atomkraftwerk im Streckbetrieb, also ohne neue Brennstäbe, eine viel geringere Leistung bringt. Außerdem sei man über die fehlenden Sicherheitsüberprüfungen hinweg gegangen, dabei sei klar, dass diese nur ausgesetzt seien, wenn Ende 2022 abgeschaltet wird.
Weil die Argumente des TÜV kaum belastbar seien, so handele es sich um "eine schlampig argumentierende Auftragsarbeit":
TÜV und Ministerium weisen Vorwürfe zurück
Geschrieben hat das Gutachten im Auftrag von Greenpeace Rechtsanwalt Ulrich Wollenteit von der Hamburger Kanzlei Günther, die laut ihren Referenzen bereits mehrfach Anwohner von Castor-Transportstrecken vertreten hat. Auch Greenpeace und andere Umweltorganisationen wurden von ihr beraten.
- Wird auch der Strom im Winter knapp?
Ein Blackout im Winter - das könnte eine Folge des Ukraine-Kriegs sein. Bisher gilt die Stromversorgung in Deutschland als relativ sicher. Doch hält dies auch über den Winter?
Das Bayerische Umweltministerium als Aufsichtsbehörde der beiden Kraftwerke weist die Vorwürfe Wollenteits zurück. TÜV-Süd sei "einer der renommiertesten und mit Fragen der Kernkraft am besten vertrauten Experten". Ein Sprecher des Ministeriums teilt mit:
Auch TÜV-Süd verwahrt sich gegen die Vorwürfe, die "sich gegen die Neutralität unserer Position als Sachverständigenorganisation und gegen die Qualität unserer Arbeit richten". Rechtliche Fragestellungen seien generell nicht Gegenstand unserer Bewertung.
Grünen-Fraktionschef Britta Haßelmann fühlt sich durch die Zweifel an dem Gutachten bestätigt und pocht auf das Primat der Politik:
Kraftwerksbetreiber? Schweigen
Die Bundesregierung hatte sich im März gegen den Weiterbetrieb der drei noch laufenden Atomkraftwerke ausgesprochen. Neben Isar 2 ist dies auch das Kraftwerk Emsland und Neckarwestheim 2, für deren Weiterbetrieb das Atomgesetz geändert werden müsste.
Nach Auffassung des Bundesumweltministeriums müssten auch die ausgesetzten Sicherheitsüberprüfungen nachgeholt werden, was Jahre dauern kann. In einem zweiten Stresstest wird derzeit geprüft, ob die Versorgung ohne russisches Gas und einem noch höheren Gaspreis gesichert ist und ob Atomkraft dafür notwendig wäre.
Wer derzeit am besten wissen müsste, ob und wie lange ein Weiterbetrieb der Kraftwerke zumindest technisch möglich ist, sind die Betreiber. Doch die schweigen. "Bitte haben Sie Verständnis, dass wir die Debatte um einen Weiterbetrieb von Isar 2 nicht weiter kommentieren möchten", heißt es von Preussen-Elektra. RWE teilt mit: "Ein Weiterbetrieb hätte aus unserer Sicht hohe Hürden." Welche? Kein Kommentar.
Und EnBW sagt zu Neckarwestheim 2 – nichts.
- Daten zum Klimawandel im Überblick
Wie hat sich das Klima bereits verändert? Wie viel CO2 haben die Länder seit 1990 eingespart? Die wichtigsten Zahlen im KlimaRadar von ZDFheute.