Die EU-Kommission will Atomkraft als grüne Energiequelle einstufen - und stößt damit auf entschiedenen Widerstand in Deutschland und Österreich. Auch vom WWF kam scharfe Kritik.
Die EU-Kommission will Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter Auflagen als klimafreundlich einstufen. Das geht aus dem Entwurf für einen Rechtsakt der Brüsseler Behörde hervor, der am Neujahrstag öffentlich wurde.
Investitionen in neue Akw sollen laut dem Entwurf als grün klassifiziert werden können, wenn sie neuesten technischen Standards entsprechen und wenn ein konkreter Plan für den Betrieb einer Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle ab spätestens 2050 vorgelegt wird. Zudem müssten die neuen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten.
Insbesondere von grünen Mitgliedern der Bundesregierung erntete der Vorschlag heftige Kritik.
EU: Neue Kernkraftwerke sollen als nachhaltig gelten
Die Verordnung zur Taxonomie wird seit Monaten mit Spannung erwartet. Die Taxonomie ist eine Art Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten und kommt einer Einstufung als förderwürdig und einer Empfehlung an Investoren gleich. Die Bewertung von Gas- und Atomenergie ist dabei eine der heikelsten Fragen, deren Beantwortung Brüssel wiederholt aufgeschoben hatte.
Konkret schlägt die Kommission vor, dass bis 2045 erteilte Genehmigungen für neue Atomkraftwerke unter die Taxonomieverordnung fallen.
Demnach soll der "Bau und sichere Betrieb neuer Kernkraftwerke zur Strom- oder Wärmeerzeugung, auch zur Wasserstofferzeugung, unter Einsatz der besten verfügbaren Technologien" als nachhaltig und klimafreundlich gelten. Weitere Vorgaben sind etwa für den langfristigen Umgang mit radioaktiven Abfällen vorgesehen.
Berlin und Wien gegen EU-Pläne
Die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke bezeichnete die Pläne gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe als "absolut falsch". Auch Bundesklimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) erklärte:
Vor allem Frankreich dringt mit Nachdruck auf eine Einstufung der Atomkraft als nachhaltig. Auch Polen und weitere östliche Länder, die mit Atomstrom ihre Klimabilanz verbessern wollen, sind dafür. Entschieden dagegen war bislang nur eine Minderheit der EU-Staaten, allen voran Deutschland, Österreich und Luxemburg.
Österreich droht mit Klage
Österreichs grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler kritisierte:
Österreich habe bereits ein umfassendes Rechtsgutachten einer renommierten Rechtsanwaltskanzlei zur Atomkraft in der Taxonomie in Auftrag gegeben. "Damit im Gepäck werden wir auch nicht davor zurückschrecken, rechtlich gegen die geplante Taxonomieverordnung vorzugehen", versicherte Gewessler.
WWF: Von der Leyen verspielt Vertrauen
Auch die Umweltschutzorganisation WWF hat den Vorschlag der EU-Kommission, Atomenergie unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich einzustufen, scharf kritisiert.
Wissenschaftler, Bürger und Finanzinstitutionen seien von der "Mini-Konsultation" ausgeschlossen, kritisierte der WWF-Experte Matthias Kopp. Die EU-Kommission wisse, dass sie "den wissenschaftsbasierten Weg verlässt".
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verspiele mit dem Vorgehen Vertrauen und gefährde so ihren eigenen "Green Deal" für nachhaltiges Wachstum in der Europäischen Union.
Keine geschlossene Linie bei Thema Erdgas
Auch Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen übergangsweise unter strengen Voraussetzungen als grün eingestuft werden können. Die zumindest eingeschränkt positive Bewertung von Erdgas im Kommissionspapier wurde als Entgegenkommen gegenüber den Atomkraft-Gegnern aufgefasst.
Insbesondere Deutschland und Österreich sind stark von russischem Erdgas abhängig und wollen dessen Nutzung als Übergangstechnologie hin zur Klimaneutralität weiter fördern.
Die neue Bundesregierung hat hier allerdings keine geschlossene Linie. Während SPD-Kanzler Olaf Scholz am Kurs der Vorgängerregierung festhalten will, nannte Habeck die Pläne der EU-Kommission für den Umgang mit Erdgas "fraglich". Immerhin mache die Kommission in diesem Punkt aber "sehr klar, dass Gas aus fossilen Brennstoffen nur ein Übergang ist und es durch grünen Wasserstoff ersetzt werden muss".
Finaler Vorschlag für Mitte Januar geplant
Der nun begonnene Konsultationsprozess mit den EU-Mitgliedstaaten soll rund zwei Wochen dauern. Mitte Januar will die Kommission dann den finalen Vorschlag vorstellen, gegen den der Rat der Mitgliedstaaten und das EU-Parlament jeweils ein Veto einlegen können.
Um die Kommissionspläne aufzuhalten, bräuchte es allerdings eine qualifizierte Mehrheit von 20 der 27 Mitgliedstaaten, die zudem für 65 Prozent der EU-Einwohner stehen. Auch im EU-Parlament, wo eine einfache Mehrheit für ein Veto reichen würde, zeichnet sich diese bislang nicht ab.
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