Industrieländern geht es um CO2, Entwicklungsländern um Gerechtigkeit. Im Interview mit ZDFheute erklärt der Umwelthistoriker Frank Uekötter, warum Klimafragen Machtfragen sind.
ZDFheute: Sie warnen vor einer "Klimapolitik von oben". Was verstehen Sie darunter?
Frank Uekötter: Der Staat ist eine europäische Erfindung und wir verstehen ihn heute ganz selbstverständlich als Partner bei der Lösung von Problemen. Dahinter stecken jedoch anderthalb Jahrhunderte mühsamer demokratischer Zähmung des Leviathan.
Dementsprechend wird Klimapolitik sehr unterschiedlich verstanden: im globalen Norden eher als eine Hilfe, im globalen Süden als Teil eines Machtspiels. Wir dürfen daher die ökologische Frage nicht von der Machtfrage entkoppeln.
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ZDFheute: Was heißt das für die laufende Klimakonferenz in Scharm el Scheich?
Uekötter: Es geht nicht nur um Geld, das die Industrieländer den Entwicklungsländern als Kompensation für Klimaschäden zahlen sollen. Es geht darum, dass der Klimaschutz von den Menschen im globalen Süden akzeptiert wird. Am Ende werden große Summen in neue Projekte fließen. Diese müssen unter Beweis stellen, dass sie die Gesellschaften im globalen Süden tatsächlich sozial, ökologisch und wirtschaftlich robuster machen. Klimaschutz gegen die Gesellschaft hat keine Chance.
Die diesjährige Weltklimakonferenz wird von zahlreichen Krisen weltweit überschattet. Die Sorge vieler, dass der Kampf gegen die Erderhitzung vernachlässigt wird, ist groß.
ZDFheute: Ist das die "Blindstelle des westlichen Umweltdenkens", von der Sie reden?
Uekötter: Unser ökologisches Denken hat sich in den 1970er-Jahren herausgebildet. Klassendenken und soziale Konflikte schienen damals der Vergangenheit anzugehören, Bundesbürger sahen sich als nivellierte Mittelschichtsgesellschaft.
Typisch für diesen Zeitgeist ist ein Slogan der Grünen aus ihrer Gründungszeit: "Nicht rechts, nicht links, sondern vorn". In den Ländern des globalen Südens ist das aber ganz anders. Hier drehen sich Umweltfragen um Existenzfragen. Denken Sie beispielsweise an die Vertreibung von Kleinbauern für den Bau großer Plantagen. Umweltprobleme sind im globalen Süden oft Ausdruck von "Oben gegen Unten".
FAQ- So sollen bald Klimaschäden finanziert werden
Es ist einer der Knackpunkte bei den Verhandlungen in Ägypten: Der Umgang mit Schäden, die der Klimawandel verursacht. Um welche Summen geht es, was wurde erreicht? Ein Überblick.
ZDFheute: Was halten Sie von den Kompensationsforderungen der Entwicklungsländer auf dem Gipfel?
Uekötter: Diese Forderungen folgen der Logik der Moral und der Einsicht, dass der Versuch, Klimawandel zu verhindern, leider gescheitert ist. Aber eine moralisch gebotene Politik ist noch lange keine gute Politik. Die Fehler der 1950er und 1960er sollten nicht wiederholt werden. Damals floss viel Geld in die Entwicklungshilfe, auch getrieben von der Sorge um Bündnispartner im Kalten Krieg. Das Resultat waren Großprojekte, die nicht wie geplant funktionierten und für ihre Nebenwirkungen berüchtigt wurden.
Der Irak erlebt dramatische Veränderungen. Er gehört zu den fünf am meisten vom Klimawandel betroffenen Ländern weltweit. Eine Reportage aus einem Land vor dem Klima-Kollaps.
ZDFheute: Im Hinblick auf den Klimawandel sprechen alle von einer Veränderung des westlichen Lebensstils. Aus Sicht des Historikers: Wie flexibel ist der Mensch?
Uekötter: Viel flexibler, als die politische Rhetorik vermuten lässt. Die jährlichen Klimakonferenzen lenken leicht davon ab, wie viel an den Konsumgewohnheiten westlicher Wohlstandsbürger hängt. Lösungen kommen beim Klima nicht nur von oben, sondern auch aus der Gesellschaft. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun.
Das Interview führte Eva Schmidt.
Grafiken- Daten zum Klimawandel im Überblick
Wie hat sich das Klima bereits verändert? Wie viel CO2 haben die Länder seit 1990 eingespart? Die wichtigsten Zahlen im KlimaRadar von ZDFheute.
von Moritz Zajonz