Tausende Hektar Wald wurden in Deutschland kahlgeschlagen, um neue Mischwälder zu pflanzen, die im Klimawandel bestehen sollen. Dieser Plan droht zu scheitern.
"Furchtbar!", sagt Eberhard Reckleben. Er steht in einer Steppenlandschaft - nicht in Afrika, sondern im Oberharz. Weit und breit kein Baum, wo einmal Fichtenwald war. "Das deprimiert komplett", sagt Reckleben.
Er ist Forstbetriebsleiter und sah damals keine Alternative, als mehrere Dürresommer und Stürme die Fichten schwächten und der Borkenkäfer den Rest erledigte. Reckleben:
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Das alte Patentrezept "Waldräumung"
"Waldräumung" lautete das Patentrezept vieler Förster gegen das Massensterben der Bäume. Und verantwortliche Politiker stimmten zu: "Wir müssen die Wälder räumen!", forderte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner 2019 auf einem Wald-Krisengipfel.
Bund und Länder stellten 1,5 Milliarden Euro bereit: für Kahlschläge, Waldräumung, Wiederaufforstung. Das Ergebnis begutachtet Pierre Ibisch im Oberharz auf der Kahlfläche.
Er fährt mit seiner Hand in die ausgetrocknete Erde, voller Steine.
Ibisch: "Wald besteht nicht nur aus Bäumen"
Ibisch ist Forschungsprofessor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde und hat für die Umweltorganisation Greenpeace Kahlschläge in Deutschland untersucht.
Was einst fruchtbarer Waldboden war, ist heute schwer geschädigt, vor allem von schweren Maschinen, die das Totholz abtransportierten. "Dieser Boden hat keine Wasserspeicherfähigkeit mehr", sagt Ibisch und steht auf. "Mich schockiert, dass vergessen wurde, dass Wald nicht nur aus Bäumen besteht, sondern ganz wesentlich aus Boden"
Intakter Wald sorgt für Kühlung
Ibisch und sein Team werteten Satellitenbilder aus, die Temperaturen anzeigen. Intakter Wald kühlt die Flächen. Das ist wichtig im Klimawandel.
Und sogar unter abgestorbenen Fichten bleibt es fast so kühl wie unter lebenden Bäumen - gute Bedingungen für einen neuen Wald, der nachwächst.
Durch Kahlschlag trocknen Böden aus
Auf den Kahlschlagsflächen dagegen herrscht glühende Hitze. An heißen Sommertagen ist es mehr als 23°C heißer als im Wald. Die Böden trocknen aus. Ob hier ein neuer Mischwald nachwachsen kann? Ibisch bezweifelt das. Wer also neuen Wald will, muss die toten Bäume zum Schutz stehen lassen.
Und der Borkenkäfer? Ibisch winkt ab. "Meistens kommt man mit dem Kahlschlag ohnehin zu spät", sagt er.
In Deutschland gibt es mehr als 100 Borkenkäferarten und diese richten nicht nur Schaden an.
Das Ökosystem Wald als Klimaschützer
Forstbetriebsleiter Eberhard Reckleben wollte mit dem Kahlschlag im Oberharz den Wald vor dem Borkenkäfer retten. "Man sieht hier unschwer, dass das nicht wirklich gelungen ist, weil tatsächlich der Wald ja vollständig verschwunden ist."
Aber die toten Bäume einfach stehen lassen? "Wenn da eine Krone abbricht, dann ist das lebensgefährlich", sagt er. Ein Jahrzehnt lang könne da nicht mehr gearbeitet werden, um Holz zu schlagen. Für Reckleben keine Option.
Denn Deutschland brauche jede Menge Holz. "Weil wir damit klimaschädliche Baustoffe wie Beton und Stahl ersetzen müssen", sagt Reckleben. Tatsächlich gilt der deutsche Wald als wichtiger Klimaschützer: Jedes Jahr speichert er jede Menge CO2.
Braucht es eine Abkehr von der Kahlschlagspolitik?
Aber auf den Kahlflächen gast der Boden CO2 aus, jahrelang, erklärt Ibisch. Für Greenpeace hat er berechnet: Jedes Jahr mindestens 1,2 Millionen Tonnen CO2 aus den Kahlschlagsflächen. Aus dem Klimaschutz-Wald wurde ein handfestes Klimaproblem.
Zeit für eine Abkehr von der Kahlschlagspolitik? Das Bundesministerium von Julia Klöckner möchte auf diese Frage des ZDF keine Antwort geben. Und die neue Regierung in spe hat zum Wald als Klimaschützer bisher nichts konkretes verkündet.
Grafiken- Daten zum Klimawandel im Überblick
Wie hat sich das Klima bereits verändert? Wie viel CO2 haben die Länder seit 1990 eingespart? Die wichtigsten Zahlen im KlimaRadar von ZDFheute.
von Moritz Zajonz