Die Klimabewegung ist frustriert. Der Aktivist Tadzio Müller denkt über radikale Aktionen und Sabotage nach. Es werde weniger darum gehen, von der Gesellschaft gemocht zu werden.
Nach zwei Jahren Corona-Pandemie hat die Klimabewegung in Deutschland an Schwung verloren. Neben den Schulstreiks von Fridays for Future gibt es auch radikalere Gruppen wie Ende Gelände und Aufstand der letzten Generation - letztere sind bekannt für ihre Autobahnblockaden. Als Mitgründer von Ende Gelände ist Tadzio Müller ein Vertreter dieser radikaleren Strömung.
ZDFheute: Beim Klimaschutz geht es auch unter der neuen Bundesregierung nur langsam voran. Wie frustrierend ist das für die Klimabewegung?
Tadzio Müller: Mit einem Wort: extrem. Wenn man sich die letzten 30 Jahre Klimapolitik anschaut, dann kann man nur frustriert sein. Alle Regierungen wollen nur das Wirtschaftswachstum vorantreiben. Wir verdrängen, dass unser Alltag die Lebensgrundlage aller Menschen untergräbt. Das ist eine ethische Sauerei.
ZDFheute: Und weil man niemanden aufrütteln konnte, denkt die Klimabewegung jetzt über neue Aktionsformen nach?
Müller: Ende Gelände hat den Aktionskonsens für dieses Jahr erweitert. In diesem Jahr sind auch Aktionsformen möglich, bei denen fossile Infrastruktur nach Ende der Aktion weiter außer Stand gesetzt ist. Gleichzeitig gibt es auch bei Fridays for Future viel Rumoren, dass man zu radikaleren Aktionsformen greifen müsste.
-
ZDFheute: Das heißt, an der Basis gibt es einen Drang, radikaler zu werden. Braucht es Gewalt und Sabotageakte, um die Gesellschaft wachzurütteln?
Müller: Ich bin über den Gewaltbegriff gestolpert. Es kann doch keine Gewalt gegen Sachen geben. Die Letzte Generation ist schon so eine Gruppe, die natürlich eine Eskalation durchführt, aber keine gewalttätige. Da ist ein gewisser Fetisch in der Debatte, dass man, wenn man Eskalation und Radikalisierung hört, immer gleich an Gewalt denkt. Das Außerstandsetzen von Kohlebaggern oder Baugeräten für eine Gaspipeline ist keine Gewalt, sondern Notwehr im Rahmen eines rechtfertigenden Klimanotstands.
ZDFheute: Und wo setzen Sie dann die Grenze?
Müller: Die Gefährdung von Menschenleben muss absolut ausgeschlossen werden.
Sie legen etwa mit Straßenblockaden Innenstädte lahm, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen: Klimaschützer von Initiativen wie "Aufstand der letzten Generation" und "Extinction Rebellion".
ZDFheute: Das klingt, als hätte Fridays for Future gegenüber radikaleren Gruppen wie Letzte Generation an Einfluss in der Bewegung verloren.
Müller: Fridays for Future ist der Hegemon der Bewegung. Eine soziale Bewegung besteht aber nicht aus einem Akteur, sondern hat verschiedene Flügel. Es gab Martin Luther King, es gab natürlich auch Malcolm X und die Black Panthers.
ZDFheute: Aber man konkurriert doch um die gleiche Gruppe an Unterstützern.
Müller: Die Letzte Generation hat medial die meiste Resonanz. Sie ist klein, handlungsfähig und hat etwas Neues gemacht. Das Neue ist immer das Aufregendere. Das Problem von Fridays for Future ist, dass der Effekt einzelner Demonstrationen und Schulstreiks inzwischen gering ist. Die Organisation hatte einen unglaublichen Aufwuchs seit 2019. Völlig nachvollziehbar, wenn man sich jetzt etwas sammeln muss, um neue Ideen zu entwickeln.
Die Klimabewegung war durch Corona zwei Jahre lang demobilisiert. Soziale Bewegung braucht die Straße, braucht die Masse, braucht Öffentlichkeit. Davon leben wir, das ist unsere Machtbasis. Bei Fridays for Future und Ende Gelände laufen Diskussionen über effektivere Aktionen. Deswegen glaube ich: Das wird ein heißer Sommer werden.
ZDFheute: Und was wird die breite Gesellschaft zu diesen radikaleren Aktionen sagen?
Müller: Wir werden Aktionen sehen, die es weniger zum Ziel haben zu überzeugen, dass Klimaschutz wichtig ist. Sondern solche, die die Kosten der klimazerstörenden Normalität erhöhen. Es wird Aktionen geben, die über das bestehende Repertoire hinausgehen. Ich kann noch nicht sagen, wie sie aussehen werden, weil sie wegen Gesetzesübertritten immer auch verdeckt geplant werden müssen.
ZDFheute: Erwarten Sie von einer Bundesregierung mit Grünen-Beteiligung viel Verständnis?
Müller: In Deutschland ist der Klimakampf zunächst der Kampf gegen die Autoindustrie. Jede Regierung ist zuerst Autoregierung, egal aus welchen Parteien sie besteht. Natürlich kann man die Grünen als Klimabewegung leichter unter Druck setzen als diesen fossilen Block SPD.
ZDFheute: Schaut man sich die Proteste 1987 gegen die Startbahn West des Frankfurter Flughafens an. Sie gingen so weit, dass zwei Polizisten erschossen wurden.
Müller: Jetzt mit dieser Startbahn-West-Geschichte zu kommen, ist absurd. Schauen Sie sich an, wie unglaublich friedlich die Klimabewegung im Angesicht der globalen Megakrise ist. Es gab noch nicht mal Steinwürfe bei großen Demos. Dass es in wenigen Monaten zu Schüssen auf Polizisten kommen könnte, ist absurd.
ZDFheute: Und was sagt es aus, dass Ende Gelände in Berlin vom Verfassungsschutz beobachtet wird?
Müller: Der Verfassungsschutz ist eine viel dubiosere Institution als Ende Gelände, lassen Sie uns ihn nicht als objektive Quelle heranziehen.
ZDFheute: Was müsste passieren, damit Sie im Herbst sagen, dass es ein erfolgreicher Sommer für die Klimaschutzbewegung war?
Müller: Die Bewegung muss zeigen, dass sie handlungsfähig ist. Es muss eine Legitimierung radikaler Aktionsformen geben. Wir müssen als Machtfaktor wahrgenommen werden, gegen den bestimmte Politik nicht durchgesetzt werden kann.
Die Fragen stellte Nils Metzger.
Grafiken- Vom fossilen zum Ökostrom
Deutschland will unabhängig werden von fossiler Energie. Wie der Stand der Stromversorgung und Gasspeicher ist und wie der Ausbau des Ökostroms vorangeht, ein Überblick in Grafiken:
von Moritz Zajonz und Kathrin Wolff