Es wird immer wärmer - mit heftigen Folgen für die Nordseeküsten. In Husum blühen die Krokusse viel zu früh - und Bauer Hinrichsens Hof könnte irgendwann unter Wasser stehen.
Es gibt wenige Stellen an der deutschen Nordseeküste, an denen kein Deich den Blick auf das Meer versperrt. Schobüll bei Husum in Nordfriesland ist so ein Ort. Hier bewohnt Hauke Hinrichsens Familie seit Generationen ein Bauernhaus.
Jahrzehntelang teilten sich die Hinrichsens den langgestreckten, flachen Rotklinker mit Schweinen - inzwischen haben sie umgestellt auf Urlauber, die sich am unverstellten Meerblick erfreuen. Jedenfalls so lange kein Sturm die See ins Land drückt.
Mit Sandsäcken verteidigt
"Wir hatten schon Gäste aus dem Rheinland, die sind Hals über Kopf abgereist, als wir Sturmflut hatten", erzählt Hauke Hinrichsen schmunzelnd. Bislang ist die Nordsee noch nie weiter als bis zur Türschwelle gekommen, die die örtliche Feuerwehr im Notfall mit Sandsäcken verteidigt. Hauke Hinrichsen sagt:
Man merkt ihm aber an, dass er sich das auch selbst einredet. Schließlich muss er sich darauf verlassen, dass der natürliche Geestrücken, der hier sanft zu den Salzwiesen hin ausläuft, hoch genug ist, um sein Haus darauf auch vor steigendem Meeresspiegel zu schützen.
Krokusse blühen viel zu früh
Dass sich rund um Husum das Klima wandelt, merkt man in diesem Frühling ganz besonders: Die Stadt ist berühmt für ihre vier Millionen Krokusse, die im März den ganzen Schlosspark tief violett färben - doch Krokuskönigin Hannah I. hätte zu Frühlingsbeginn wohl reichlich spät das traditionelle Krokusblütenfest eröffnet.
Die Pflanzen sind schon fast verblüht. Das Coronavirus erspart ihr nun den Auftritt zwischen verblichenen Krokussen. Husums Parkgärtner führen seit Jahrzehnten Tagebuch über das Verhalten der Krokusse und registrieren stete lokale Erwärmung.
Den besten Überblick über das, was das Klima im Wandel an der Nordsee anrichtet, hat man beim LKN, der Landesbehörde, die sich um den Küstenschutz kümmert. Sie hat ihren Sitz in Husum. "Wir sind dieses Jahr gut durch den Winter gekommen", sagt LKN-Chefin Birgit Matelski.
Das Meer hat an den Inseln ganze Strandabschnitte verschluckt. Die Deiche am Festland haben gehalten, doch blieben nach dem Rückzug der Nordseewellen Unmengen an Treibsel liegen.
Treibsel-Massen gefährden Deiche
"Allein in meinem Abschnitt rund um Husum mit 20.000 Tonnen etwa doppelt so viel wie sonst", sagt LKN-Küstenschützer Florian Schröter.
Seine Räumtrupps werden noch lange damit beschäftigt sein, den Treibsel, diese Mischung aus Pflanzenteilen, Schafskot und Müll einzusammeln, zu sortieren und die Biomasse auf großen Halden zu Humus zu verarbeiten.
Kampf gegen Treibsel kostet Millionen
Verlieren seine Kollegen den Millionen Euro teuren Kampf gegen die Treibsel-Massen, verrottet darunter die Deckschicht der Deiche - die nächste Sturmflut könnte dann in die Küstenschutzbauwerke eindringen und schweren Schaden anrichten.
Immerhin: Es deutet sich ein Geschäftsmodell für die eingesammelte Biomasse an: Landwirt Christian Götsche lässt prüfen, ob der Treibsel-Humus biologisch einwandfrei ist und er ihn als Dünger auf die Felder bringen darf.
Angst vor Ausbleiben der Feriengäste
Ferienhausvermieter Hauke Hinrichsen drückt in diesen Tagen ein größeres Problem als der fehlende Deich vor seinem Haus: Die Landesregierung hat zum Schutz vor der Ausbreitung des Coronavirus sämtliche Feriengäste ausgeladen. Schon angereiste Urlauber mussten das Land verlassen. Er könnte Anträge auf staatliche Hilfen stellen - die Nordsee dabei unverbaut im Auge.
Henner Hebestreit ist Reporter im ZDF-Studio Schleswig-Holstein.