Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Das ist zwar zu schaffen, so eine Analyse des Wissenschaftskonsortiums Ariadne. Notwendig sei dafür aber ein "dramatischer Umbau".
Noch ist die Welt nicht auf dem Weg, die Erderwärmung wirkungsvoll zu begrenzen. Darauf hat erst vor wenigen Wochen der Weltklimarat hingewiesen. Im Sommer hat die Bundesregierung bereits ihre Klimaziele verschärft: Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden, also nur noch so viele Treibhausgase ausstoßen, wie aus der Atmosphäre wieder gebunden werden können.
Die Etappen: Bis 2030 sollen es mindestens 65 Prozent weniger Treibhausgase sein als 1990, bis 2040 mindestens 88 Prozent. Aktuell hat Deutschland etwa minus 40 geschafft. Die neuen Vorgaben sind "knackig" und die Zeit ist "kurz", sagt Prof. Gunnar Luderer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).
Nachbesserungen im Stromsektor empfohlen
Mit der Frage, wie das zu schaffen ist, hat sich der neue Ariadne-Report beschäftigt - erstellt von rund 25 Forschungsinstituten, darunter dem PIK, mehreren Universitäten und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Antwort im Kern: Klimaneutralität ist "nur durch eine beispiellos zügige und tiefgreifende Transformation des gesamten Energiesystems" zu erreichen. Noch sei dabei aber die Diskrepanz zwischen der deutschen Klimapolitik und den Zielen groß.
Für die Autorinnen und Autoren ist der Zeitraum bis 2030 entscheidend. Sie empfehlen, vor allem den Stromsektor schneller und umfassender klimafreundlich zu machen als bisher geplant. Der Grund: Das sei nach ihren Berechnungen "kostengünstiger" als in anderen Bereichen. Außerdem sei ausreichend erneuerbare Energie eine Grundvoraussetzung auch für Klimaneutralität in Verkehr, Industrie und Wärme.
Ausbau erneuerbarer Energien fundamental
Heißt: Bis 2030 müsste sich die Zahl der Wind- und Solarenergieanlagen in Deutschland verdreifachen, Kohlekraftwerke sollten möglichst abgeschaltet und die Netzinfrastruktur ausgebaut sein. Schwieriger dagegen ist es laut Report in den anderen Bereichen. In diesen müsste "konsequent" auf Strom oder aus Strom hergestellte Energieträger wie grüner Wasserstoff oder E-Kraftstoffe umgestellt werden.
Allerdings: "Der Verkehrssektor wird sehr wahrscheinlich sein Klimaschutzziel für 2030 nicht erreichen", glaubt Dr. Florian Koller vom DLR. Dazu müsse es nämlich mindestens 14 Millionen Elektro-Autos im Bestand geben - etwa 40 Prozent mehr als von der Regierung angepeilt. Auch weil bestehende Verbrenner-Autos noch lange halten, sei das in nur acht Jahren kaum zu schaffen. Zusätzlich müsse die nötige Lade-Infrastruktur geschaffen werden - mit mehr als einer halben Million öffentlich zugänglicher Ladepunkte.
Herausforderungen bei der Stahlindustrie und im Gebäudebereich
Und für schwere Laster, Schiffe, Flugzeuge und zum Beispiel die Stahlindustrie sei zudem ein "schneller und maximaler Hochlauf" der Produktion etwa von grünem Wasserstoff nötig. Eine Herausforderung ist auch der Gebäudebereich. Hier sei die "Elektrifizierung durch Wärmepumpen die zentrale Lösung", erklärt Dr. Christoph Kost vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE).
Seine Empfehlung:
Denn der Umbau sei "dramatisch" und müsse deutlich beschleunigt werden, so Kost. Etwa fünf Millionen Wärmepumpen müssten installiert, 1,6 Millionen Gebäude ans Fernwärmenetz angeschlossen werden.
Einsteigen, Motor starten, losfahren - dank grünem Wasserstoff emissionsfrei. Der Rohstoff ist praktisch unbegrenzt vorhanden, lässt sich speichern und ist effizient.
Experten: Politik muss "dringend handeln"
Das Fazit der Expertinnen und Experten: Die Klimaschutzziele sind "extrem herausfordernd", die Politik müsse dringend handeln, vor allem beim Ausbau der Erneuerbaren. "In der Politik wird oft noch unterschätzt, wie tiefgreifend der notwendige Umbau zur Klimaneutralität 2045 ist", so Luderer. Entscheidend als Lenkungsinstrument sei auch ein sektorübergreifender CO2-Preis, der deutlich über dem aktuellen liegen müsse.
Und es müsse massiv investiert werden. Von einem Mehrbedarf von 1,9 Billionen Euro geht eine aktuelle Studie im Auftrag der staatlichen Förderbank KfW aus. Viel Geld. Weiter auf fossile Energie zu setzen sei wegen des Klimawandels aber langfristig "extrem viel teurer", glaubt Prof. Luderer. "Das ökonomische Risiko wäre erheblich."
Mark Hugo ist Redakteur in der ZDF-Umweltredaktion