Missbrauch-Entschädigung: "Ein Tropfen auf den heißen Stein"

    Missbrauch-Entschädigung:"Ein Tropfen auf den heißen Stein"

    von Michael Haselrieder und Michael Strompen
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    Die katholische Kirche verfügt über ein Milliarden-Vermögen. Bei der Entschädigung wegen sexuellen Missbrauchs aber sei die Kirche äußerst knauserig, kritisieren die Betroffenen.

    Georg Menne vor der Kirche.
    Georg Menne
    Quelle: ZDF

    Als das Foto entstand, war Georg Menne 13 Jahre alt. Der Messdiener liegt halbnackt in einer Duschwanne, die Hände auf den Rücken gefesselt. Auch heute, 50 Jahre später, fällt es ihm schwer, darüber zu sprechen: "Das war praktisch einer der ersten Tests im Keller: Macht der Georg mit? Und dann kann man ja weitergehen." Und der Täter ging weiter. Es war der Pfarrer.

    Erstmals Schmerzensgeldklage gegen katholische Kirche

    Georg Menne wurde sexuell missbraucht, über viele Jahre, mindestens 320 Mal, sagt er:

    Was Sie sich in Ihrer Fantasie in allen Variationen vorstellen können, ist auch passiert. Ich habe bis heute eine Behinderung. Das heißt also Neurodermitis, Migräneanfälle - auch häufig, manchmal täglich.

    Georg Menne als 13-Jähriger
    Georg Menne als 13-Jähriger - Menne hat das Bild zur Verfügung gestellt, um seinen Missbrauch öffentlich zu machen.
    Quelle: ZDF

    Der Täter, der Pfarrer ist mittlerweile verstorben. Georg Menne hat sich entschlossen zu klagen gegen das Erzbistum Köln mit Rainer Maria Kardinal Woelki an der Spitze. Es ist die erste Schmerzensgeld-Klage gegen die deutsche katholische Kirche. Sie könnte zum Präzedenzfall werden. Sein Anwalt Eberhard Luetjohann will vor Gericht 805.000 Euro erstreiten.

    Bisher nur "Anerkennung des Leids" - kein Schmerzensgeld

    Bisher hat Menne 25.000 Euro bekommen. Die katholische Kirche nennt es "Anerkennung des Leids" - kein Schmerzensgeld, sondern eine freiwillige Zahlung. So umgeht die Kirche ein rechtliches Eingeständnis ihrer Schuld. "Wir haben bisher ungefähr 1.500 Anträge bekommen. Es sind 33 Millionen Euro ausgezahlt worden", sagt Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz. "Eine Anerkennung des Leids ist für mich kein ordentliches Schmerzensgeld", entgegnet Georg Menne. "Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein."
    Stadtansicht Köln mit Dom am Abend
    Katholische Kirche vor Gericht: Schmerzensgeld für Missbrauchsopfer01.11.2022 | 9:27 min
    In anderen Ländern sind weit höhere Entschädigungen gezahlt worden. Zum Beispiel in Irland. Hier haben Staat und Kirche einen Entschädigungsfonds aufgelegt. "Die irische Regierung hat 2009 die verantwortlichen Kirchenvertreter einberufen und sie dazu aufgefordert, mehr zu zahlen. Erst dann war klar, dass eine enorme Summe zusammenkommt", sagt Patsy McGerry, Religionskorrespondent der Tageszeitung "The Irish Times". "Der Fonds hat etwa 1,2 Milliarden Euro an 15.000 Betroffene ausgezahlt."

    1,2 Milliarden Euro an Betroffene in Irland

    Besonders der ehemalige Erzbischof von Dublin, Diarmuid Martin, hat sich für angemessene Zahlungen eingesetzt. "In keinem dieser Fälle hat jemand gesagt: Ihr seid weit über die Grenze dessen gegangen, was ihr tun solltet", sagt Martin im Interview mit dem ZDF-Magazin frontal.
    Archiv: Georg Menne als Messdiener,  hinter der Flagge (Aufgenommen in den 1970er Jahren)
    Georg Menne als Messdiener, hinter der Flagge (Archivbild 1970er Jahre)
    Quelle: ZDF

    Und er hat eine Botschaft an die deutschen Bischöfe. Dazu zitiert er ein Gleichnis Jesu aus dem Lukas-Evangelium, Kapitel 15: "Jesus sagt: 'Lass 99 zurück und kümmere dich um den einen, der verloren ist.' Lernt von anderen Ländern, wo es funktioniert hat."

    Verjährung als heikle Frage: Woelki soll als Zeuge vor Gericht aussagen

    Reich genug ist die katholische Kirche in Deutschland jedenfalls, um höhere Entschädigungen zu zahlen. Finanzexperte und Kirchenkritiker Matthias Krause hat für frontal die Bilanzen der katholischen Bistümer analysiert: "Ich habe mir speziell das Finanzvermögen angeschaut - also Wertpapiere, Bankguthaben, Kassenbestände. Wenn man davon alle Zahlungsverpflichtungen abzieht, bleibt immer noch genügend übrig", sagt Krause. "Bei allen Bistümern zusammen komme ich auf eine Größenordnung von etwa 13 Milliarden Euro."
    Geld ist zwar da, doch im Fall Menne könnte das Erzbistum Köln geltend machen, dass die Taten verjährt seien. Eine heikle Frage für Erzbischof Woelki. Er soll als Zeuge geladen werden. "Beim Thema Verjährung befinden wir uns mit den anderen Bistümern und mit der Deutschen Bischofskonferenz im engen Austausch", sagt Woelkis Sprecher Jürgen Kleikamp. "Eine solitäre Entscheidung des Erzbistums Köln wird es da sicher nicht geben können."
    Der Prozess Menne gegen das Erzbistum Köln beginnt am 6. Dezember. Dann wird sich zeigen, ob die katholische Kirche ihrer Verantwortung gerecht wird.

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