Kommunen und Flüchtlinge: Erschöpfte Kapazitäten

    Kommunen und Flüchtlinge:Erschöpfte Kapazitäten, wachsender Widerstand

    Florian Kortschik vom ZDF-Landesstudio Thüringen mit Mikrofon.
    von Florian Kortschik
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    Viele Landkreise ächzen, es sei kein Platz mehr für neue Geflüchtete. Sie fühlen sich im Stich gelassen. Gleichzeitig scheint vielerorts die Solidarität mit Flüchtlingen zu sinken.

    Notunterkunft für Flüchtlinge in Hamburg
    Kommunen am Limit bei der Flüchtlingsaufnahme.
    Quelle: dpa

    Im thüringischen Heiligenstadt ist die ehemalige Iberg-Schule inzwischen Zufluchtsort für Geflüchtete. Vor drei Jahren geschlossen, hängen an den Wänden noch immer die grünen Tafeln. Doch statt Tischen und Stühlen stehen hier jetzt Feldbetten - im Schnitt zwölf pro Klassenzimmer.
    Auch die ehemaligen Abstellräume werden genutzt: In einem lebt seit Juni die fünfköpfige Familie Karpetskii - auf acht Quadratmetern. Mutter Olena sagt, das sei kein Problem. Vielmehr hätten sie so ein eigenes Zimmer und damit mehr Privatsphäre als andere hier.

    Kommunen: Flüchtlingshilfe nur machbar mit Unterstützung der Bevölkerung

    Eigentlich sollten in der ehemaligen Förderschule maximal 80 Personen untergebracht werden. Doch diese Woche ist wieder ein Bus mit Flüchtlingen angekommen. Jetzt leben hier 97. Nun sei auch diese Unterkunft voll - so wie alle im Eichsfeld, sagt Wigbert Hagelstange.
    Er ist zuständig für die Unterbringung der Geflüchteten im Landkreis. Rund 1.700 Menschen hat das Eichsfeld dieses Jahr aufgenommen - 1.300 davon aus der Ukraine. Hagelstange sagt, das sei nur zu schaffen mit der Unterstützung der gesamten Bevölkerung. So bekomme man die Leute in Mietverhältnisse und raus aus den Sammelunterkünften.

    Solidarität mit Flüchtlingen lässt nach

    Anfangs sei in der Region die Solidarität mit den Flüchtlingen sehr groß gewesen, berichtet Johannes Fischer, doch mit der Zeit lasse sie immer stärker nach. Er ist hier für die Sicherheit zuständig, übernimmt aber auch Betreuungsaufgaben. Über seinen privaten Instagram-Account sammelt "Ivan", wie ihn die Geflüchteten nennen, seit Monaten alles, woran es den Menschen fehlt. Zu Beginn habe er sich vor Hilfsangeboten kaum retten können, doch die Spendenbereitschaft lasse inzwischen extrem nach. Es sei ein "Unterschied wie Tag und Nacht".
    Um mehr Geflüchtete unterbringen zu können, mietet der Landkreis in Leinefelde eine leerstehende Produktionshalle an. Diese soll zur Flüchtlingsunterkunft umgebaut werden und 150 Menschen aus der Ukraine Platz bieten. Doch als das Mitte Oktober bekannt wird, gibt es heftige Reaktionen aus Teilen der Bevölkerung.
    Dagegen werden Unterschriften gesammelt und anonyme Protest-Mails verschickt. Darin wird unter anderem gegen Flüchtlinge gehetzt und zum "Sturm" auf Stadt und Landkreis aufgerufen. Außerdem werden Adressen und Telefonnummern von am Mietvertrag beteiligten Personen öffentlich gemacht.

    Anfeindungen gegen Flüchtlinge befürchtet

    Am Ende zieht der Landrat Werner Henning (CDU) die Notbremse: Der Vertrag wird wieder aufgehoben, auch wenn das das Problem der fehlenden Unterkünfte zusätzlich verschärft. Henning sagt, es habe nicht ausgeschlossen werden können, dass die Flüchtlinge dort angefeindet oder gar angegriffen würden:

    Wir haben die Halle nicht in Betrieb genommen, weil wir die Befürchtung hatten, es eskaliert uns. Die Gefahr ist hochgekommen, weil uns das Land allein lässt.

    Landrat Werner Henning

    Er erwarte, dass das Land selbst ein Generalmanagement zur Unterbringung von Flüchtlingen übernehme. Es gebe schlichtweg keine Kapazitäten mehr, der Landkreis stehe mit dem Rücken zur Wand.

    Weitere 6.000 Flüchtlinge erwartet

    Klagen wie diese hört Thüringens Migrationsminister Dirk Adams (Grüne) aus mehreren Landkreisen. Für Sozialleistungen und die Schaffung von Wohnraum habe man den Kommunen bereits 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, so Adams. Damit werde man zwar nicht sprunghaft aber Schritt für Schritt Wohnungen vorrichten können.
    Außerdem werde der Freistaat in den nächsten Wochen zusätzlich 600 bis 800 weitere Aufnahmeplätze schaffen, sagt Adams und führt fort:

    Und wenn der Zustrom so bleibt, werden wir auch Massenunterkünfte bereitstellen müssen - das Land wie auch die Kommunen.

    Thüringens Migrationsminister Dirk Adams

    Bis Jahresende rechnet Thüringen mit weiteren 6.000 Flüchtlingen. 34.000 hat das Land dieses Jahr bereits aufgenommen und damit schon jetzt mehr als in der Flüchtlingskrise 2015.

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