Wurde russischen Kriegsgefangenen in der Ukraine in die Beine geschossen? Ein Handy-Video soll das zeigen, Hintergründe sind aber weiter unklar. Kiew hat Aufklärung angekündigt.
Die Leiterin des UN-Menschenrechtsbüros in der Ukraine, Matilda Bogner, hat sich besorgt gezeigt über online kursierende Videos, die Misshandlungen von Kriegsgefangenen beider Seiten im Ukraine-Krieg zeigen sollen.
Eine Reihe von Videos würde derzeit untersucht, sagte Bogner am Dienstag. Anlass ihrer Stellungnahme ist vor allem ein bislang nicht vollständig verifiziertes Video, das zeigen soll, wie mutmaßlich russischen Kriegsgefangenen in die Beine geschossen wird. Das Video gebe Anlass zu "ernster Besorgnis", so Bogner.
Es sei wichtig, dass jede Form der Misshandlung sofort aufhöre.
Hinweis: Dieser Beitrag enthält Szenen, wie Menschen erschossen werden. Es werden unter anderem Folter und Gewalt thematisiert. Diese Inhalte können verstörend sein.
Was weiß man über das aktuelle Misshandlungs-Video?
Seit dem 27. März befindet sich ein Video in Umlauf, in dem zu sehen ist, wie Bewaffnete, ihre blauen Armbinden legen eine Zugehörigkeit zur Ukraine nahe, mutmaßlich russische Gefangene misshandeln.
Mehreren Personen wird darin aus kurzer Entfernung mit einem Sturmgewehr in die Beine geschossen. Die Gefangenen werden auf Russisch befragt, dabei wird auch Bezug zu Orten und Vorkommnissen in der Ukraine genommen. ZDFheute konnte die Echtheit des Videos bislang nicht vollständig verifizieren. Der genaue Zeitpunkt der Aufnahme und die Identität der Beteiligten sind nicht zweifelsfrei geklärt.
Eine Untersuchung der britischen "BBC" konnte den Ort identifizieren, an dem das Video aufgenommen worden sein soll: eine Milchfabrik nahe der Stadt Charkiw im Osten der Ukraine. Von der "BBC" befragte Experten sahen bislang keine Hinweise auf eine Manipulation oder Inszenierung des Geschehens.
Wie hat Russland auf das Video reagiert?
Für die russischen Medien und Politik ist das Video seit mehreren Tagen ein zentrales Thema. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, dass die Beteiligten zur Verantwortung gezogen werden müssten. Bekannte Unterstützer der russischen Regierung verbreiteten das Video über die sozialen Medien.
Für die russische Regierung ist dieses konkrete Video eine willkommene Gelegenheit, um von den massiven dokumentierten Kriegsverbrechen der eigenen Streitkräfte in der Ukraine abzulenken. Außenministeriums-Sprecherin Maria Zakharowa etwa warf der EU vor, Kriegsverbrechen zu ignorieren.
Welche Reaktionen gibt es von der ukrainischen Regierung?
Bereits am Montag wies der ukrainische Präsidenten-Berater Olexij Arestowytsch in einer Ansprache auf Instagram darauf hin, dass die Rechte von Kriegsgefangenen zu achten seien.
In einem zweiten Video sagte Arestowytsch, man behandele solche Fälle mit äußerster Härte. "Es wird eine Untersuchung geben", versicherte Arestowytsch. "Ein Gefangener ist ein Mensch, der sich in einer Situation der Schutzlosigkeit befindet. Im besten Fall muss man ihn besser verteidigen als seinen eigenen Kameraden."
Eine offizielle Bestätigung von ukrainischer Seite, dass tatsächlich russische Kriegsgefangene misshandelt wurden, steht noch aus. Man brauche Beweise, sagte die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Venediktowa am Montag in einem Interview mit dem Sender "Sky News":
Zuvor hatte der ukrainische Generalstabschef Walerij Saluschnyj die Videos als Fälschung bezeichnet, um die ukrainischen Streitkräfte zu diffamieren. Belege nannte Saluschnyj dafür nicht.
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Wie steht es um Kriegsgefangene in der Ukraine?
Beide Konfliktparteien haben nach eigenen Angaben bereits Hunderte Kriegsgefangene gemacht. Über ihr Schicksal wird verhandelt: "Im Austausch für zehn gefangene Besatzer haben wir zehn unserer Soldaten zurückbekommen", teilte die ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk etwa am Donnerstag mit. Mehrere von Russland entführte zivile Beamte seien so frei gekommen. Auch die Ukraine wirft Russland hier Folter und Misshandlungen vor.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.