Mit jedem Ort, aus dem sich die russische Armee zurückzieht, zeigen sich neue Gräueltaten. Von Kriegsverbrechen ist die Rede. Die EU will bei der Aufklärung helfen.
Mit dem Rückzug russischer Truppen aus der ukrainischen Kleinstadt Butscha ist sichtbar geworden, was hier während der Besetzung Russlands geschehen ist. Tote Zivilisten, Berichte über Vergewaltigungen und Folter - die Opfer waren meist unbewaffnet. Jeder Ort, den die russischen Streitkräfte verlassen, offenbart neue Gräueltaten, die mutmaßlich von der russischen Armee verübt wurden. Die Annahmen, dass es sich dabei um Kriegsverbrechen handelt, häufen sich - und damit auch die Forderungen von Politikern, diese Verbrechen aufzuklären.
Bundeskanzler Olaf Scholz sprach sich Anfang April für eine unabhängige Dokumentation und Aufklärung der Taten aus. Ein wichtiger Partner dabei ist die Europäische Union (EU). In einer Erklärung der EU-Kommission heißt es:
EU-Mission soll bei Aufklärung von Kriegsverbrechen helfen
Bereits im März eröffnete der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eine Untersuchung möglicher Kriegsverbrechen in der Ukraine. Jetzt will die EU die Ermittlungen aktiv unterstützen. Hilfreich ist dabei die EU Advisory Mission (EUAM). Seit 2014 hat es sich eine beratende Mission der EU, bestehend aus 24 der 27 EU-Mitgliedsstaaten und Kanada, zur Aufgabe gemacht, den ukrainischen Sicherheitssektor zu stärken. Unterstützt wird sie jährlich mit 29,4 Millionen Euro. Angesichts des Kriegs in der Ukraine ist der Zusammenschluss so wichtig wie nie zuvor.
Am Mittwoch beschloss der Rat der Europäischen Union, die Mission erneut zu unterstützen. Unter anderem mit Schulungen für ukrainische Behörden, strategischer Beratung und Equipment. So sollen Ermittler vor Ort Beweise sichern. Sie sammeln Proben und obduzieren Leichen, sprechen mit Opfern und schauen sich Bildmaterial an.
Erstes Ermittlerteam nimmt seine Arbeit auf
Unterstützung in der Ukraine kommt auch aus Polen und Litauen. Die EU-Mitgliedsstaaten haben ein erstes Ermittlerteam gebildet. Gemeinsam mit der europäischen Justizbehörde Eurojust wollen die Staaten den Austausch von Informationen und Beweisen erleichtern. "So können wir vermeiden, dass Opfer mehrfach ein Zeugnis abgeben müssen", sagt Jan Kooy, Sprecher von Eurojust. Andere EU-Staaten können sich dem Ermittlungsteam anschließen – auch Drittstaaten soll das ermöglicht werden.
Völkerrechtler Prof. Marco Sassoli und erklärt, warum es so schwierig ist Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen:
Doch die Ukraine gilt weiterhin als funktionierender Staat. Um hier Ermittlungen durchzuführen, braucht es die Zustimmung der Ukraine. Für Länder aus der EU ist das einfach: Seit 2016 besteht eine Kooperation zwischen Eurojust und der Ukraine. Ziel der Vereinbarung war damals die Verfolgung von grenzüberschreitenden Vergehen und ein besserer Austausch von Informationen. Heute kann Eurojust dadurch Daten aus dem Krisengebiet speichern und sie zwischen den Ermittlungsländern verteilen - auch an den Internationalen Strafgerichtshof. Denn ob es sich bei den dokumentierten Daten um Kriegsverbrechen handelt, liegt zuletzt in der Entscheidung der Justiz.
NGOs begleiten die Aufklärungsversuche
Konstanter Begleiter der Ermittlungen sind Nichtregierungsorganisationen wie etwa Human Rights Watch. Für sie gehe es bei den Ermittlungen nicht darum herauszufinden, ob es sich bei den Taten um Kriegsverbrechen handelt - das sei für die NGO klar, auch wenn diese Entscheidung letztlich bei einem Gericht liege, sagt Philippe Dam von Human Rights Watch.
Human Rights Watch sammelt vor Ort Beweise für mögliche Kriegsverbrechen:
Für sie gelte es herauszufinden, ob die Taten systematisch durchgeführt wurden.
Dam befürwortet den Einsatz der EU, betont aber auch, wie wichtig es sei, dass jene Staaten, denen eine Ermittlung rechtlich möglich ist, dies auch wahrnehmen.
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