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Gewalt gegen Zivilisten : Warum Soldaten zu Kriegsverbrechern werden

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Russlands Soldaten foltern und ermorden Zivilisten - in Butscha und anderen Orten. Experten erklären, wie Russlands Art der Kriegsführung Kriegsverbrechen wahrscheinlicher macht.

Butscha, 05.04.2022: Zwei ukrainische Soldaten bergen die Überreste von vier getöteten Zivilisten aus einem verkohlten Fahrzeug in Butscha.
Butscha am 5. April: Zwei ukrainische Soldaten bergen vier getötete Zivilisten.
Quelle: dpa

Gewalt gegen Zivilisten gibt es in nahezu jedem Krieg. Und doch erschüttern die Bilder aus Butscha besonders: Massengräber, Folter, Plünderungen. Was lässt Soldaten solche Taten begehen?

1. Rhetorik aus Moskau entmenschlicht den Gegner

Um den Krieg zu rechtfertigen, setzt der Kreml auf das Narrativ einer Nazi-Unterwanderung der Ukraine. Anfänglich bezog sich das vor allem auf die Regierung in Kiew, von der die ukrainische Bevölkerung befreit werden sollte. Je schlechter der Krieg für Russland verläuft, desto entmenschlichender wird die Propaganda gegenüber der breiten Bevölkerung der Ukraine.

"Die Hypothese 'gute Bevölkerung - schlechte Regierung' greift nicht mehr", hieß es in einem viel beachteten Meinungsbeitrag der Nachrichtenagentur "Ria Novosti" am 3. April. "Gewalt und Massaker gegen die Zivilbevölkerung können als eine Waffe in der Besatzung eines fremden Landes gezielt eingesetzt werden", sagt Jan Behrends vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.

"Es ist aber auch denkbar, dass die Disziplin einer Armee schlecht ist und es zu spontanen Übergriffen kommt, beispielsweise um eigene Verluste zu rächen oder aus Frustration." Die Kriegsrhetorik der Kreml-Propagandisten findet ihr Echo in den Taten der russischen Soldaten.

2. Eine Tradition von Menschenrechtsverstößen

In Afghanistan, Tschetschenien oder Syrien - russische Streitkräfte fielen immer wieder mit Menschenrechtsverstößen auf. Marc Garlasco, früherer Pentagon-Analyst und Berater des UN-Menschenrechtsrats, sagt ZDFheute:

Russlands Verhalten während des Krieges hat sich durch sein jahrelanges Begehen von Kriegsverbrechen in Syrien angekündigt.
Marc Garlasco, Menschenrechtsexperte bei Pax for Peace

Garlasco nennt etwa Angriffe auf Krankenhäuser oder das Aushungern von syrischen Zivilisten als Beispiele. Mit Blick darauf sei der Ukraine-Krieg jetzt auch nicht brutaler als andere Konflikte. Sich mit diesem Vorgehen der eigenen Streitkräfte auseinanderzusetzen, ist in Russland ein Tabu:

Die russischen Autoritäten haben sich nie dazu durchringen können, Verbrechen der eigenen Armee zu untersuchen. Man kann das Thema auch nicht in der Öffentlichkeit ansprechen. Es geht dem Staat darum, das Bild einer heldenhaften und ruhmreichen Armee nicht zu beschmutzen.
Jan Behrends, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung

3. Kommandeure schreiten bei Vergehen nicht ein

Bislang ist nicht abschließend geklärt, ob die bereits bekannten russischen Kriegsverbrechen wie in Butscha gezielt befohlen, oder von Kommandeuren nur geduldet wurden. Am Donnerstag berichtete der "Spiegel" über vom BND abgefangene Funksprüche, in denen sich russische Soldaten über die Tötung von Zivilisten und Gefangenen unterhielten. Sie sind Hinweis auf eine gezielte Strategie.

Bereits durch die Duldung von Kriegsverbrechen machen sich Befehlshaber strafbar. "Ein Vorgesetzter ist für alle unter seinem Befehl verantwortlich und muss rechtswidriges Verhalten verhindern oder bestrafen - sonst macht er sich selbst schuldig", erklärt Garlasco ein Grundprinzip des Völkerstrafrechts.

Jeder russische Kommandeur, dessen Einheit sich an Kriegsverbrechen beteiligt hat, bis hinauf zu Putin, sollte für den Rest seines Lebens Angst vor Reisen außerhalb Russlands haben, weil er in Den Haag belangt werden könnte.
Marc Garlasco, Menschenrechtsexperte bei Pax for Peace

4. Fehlverhalten auch unter Kameraden an der Tagesordnung

Auch intern haben die russischen Streitkräfte ein Gewaltproblem. Vor allem das Verhältnis zwischen Mannschaften und Offizieren ist schlecht und von Machtmissbrauch geprägt. Sanktioniert wird das nur selten. "Dies hat sicher mit einer spezifischen Gewaltkultur der russischen Streitkräfte zu tun, aber auch mit mangelnder Disziplin und fehlender Professionalität", beschreibt Behrends.

Hinzu kommen Misswirtschaft und Korruption. Ein guter Teil des Budgets, das eigentlich in die Modernisierung der Streitkräfte fließen sollte, haben die Verantwortlichen in die eigene Tasche gesteckt. Eine Kommandostruktur, die in Teilen wie eine kriminelle Organisation funktioniert, kann Kriegsverbrechen kaum unterbinden und sie schon gar nicht sanktionieren.

5. Schlechte Ausrüstung und "dumme" Waffen

Auch die Ausrüstung selbst spielt bei der Vermeidung ziviler Opfer eine Rolle. Moderne Technik, von Kommunikationsmitteln bis hin zu präzisionsgelenkten Bomben, all das kann Kollateralschäden verringern und garantieren, dass nur das Ziel getroffen wird, das zerstört werden soll.

Daran mangelt es der russischen Armee. Was ihr bleibt, sind etwa ungelenkte, "dumme" Bomben und die Massen an Artillerie, mit denen sie jetzt Städte belagert. Solche Waffen in dicht bebauten Wohngebieten einzusetzen, trifft zwangsläufig die Zivilbevölkerung. Russland kann seine Ziele gerade nur mit Brutalität erreichen.

Die "Zermürbung der Zivilgesellschaft" scheint ein Ziel Russlands zu sein, so Politologin Jana Puglierin. Russland streite weiter Kriegsverbrechen ab.

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6. Kriegsverbrechen sind oft schwer nachweisbar

So offensichtlich Kriegsverbrechen scheinen, so schwer sind sie gerichtsfest nachweisbar. "Ein Großteil der Gewalt gegen Zivilisten ist leider legal", sagt Garlasco. Genfer Konventionen und andere Dokumente enthielten umfangreiche Ausnahmen, unter denen Militär Zivilisten töten darf.

"Greift Militär ein legales Ziel an, dann sind die Einschränkungen was den Einsatz der Mittel betrifft, minimal." Die Schwelle, was als legales Ziel gelte, sei sehr niedrig, die für ein Kriegsverbrechen hingegen sehr hoch, so Garlasco. "Es ist nicht schwer, einen Angriff einer bestimmten Partei zuzuordnen, eine Absicht nachzuweisen, hingegen schon." Seine Hoffnung sei, dass durch die Verbreitung der sozialen Medien Möglichkeiten, Täter zu identifizieren, zunehmen.

Für den weiteren Verlauf des Ukraine-Kriegs sind die Experten aber pessimistisch: "Leider ist zu befürchten, dass die Gewalttaten von Butscha keinen Einzelfall darstellen. Wir sehen bereits jetzt, dass es auch bei der Belagerung der Hafenstadt Mariupol tagtäglich zu genozidalen Verbrechen gegen die ukrainische Bevölkerung kommt", sagt Behrends.

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