Erhält Ministerpräsident Weil eine dritte Amtszeit? Mehr als sechs Millionen Niedersachsen haben heute die Wahl. Entscheidend: die Themen, die Deutschland beschäftigen.
Nach letzten Umfragen hat die regierende SPD mit Ministerpräsident Stephan Weil bei den Landtagswahlen in Niedersachsen gute Chancen auf einen Wahlsieg.
In diesen Zeiten allgemeiner Verunsicherung war sich in den letzten Wochen nur einer sicher, am Wahlsonntag in Niedersachsen als Gewinner dazustehen: Stefan Marzischweski, der Spitzenkandidat der AfD. Sein Wahlziel von zwölf Prozent für die Partei, die auch in Niedersachsen vom Verfassungsschutz beobachtet wird, habe er ausgegeben, weil er "die Stimmung im Land kenne".
Der Radiologe Marzischewski braucht keinen Röntgenblick für seine Vorhersage: Zukunftsängste und Unzufriedenheit treiben Menschen bundesweit zu der Rechtsaußen-Partei, die im letzten ZDF-Politbarometer auf zehn Prozent der niedersächsischen Wählerstimmen kommt - beinahe eine Verdoppelung zur letzten Landtagswahl im zweitgrößten Flächenland der Bundesrepublik.
- Niedersachsen-Wahl: SPD weiter klar vor CDU
Kurz vor der Landtagswahl liegt die SPD mit 33 Prozent vor der CDU. Eine deutliche Mehrheit will laut ZDF-Politbarometer Extra Stephan Weil auch künftig als Ministerpräsidenten.
An guter Politik in den letzten fünf Jahren kann es kaum liegen: Die AfD Niedersachsen geht selbst dem Bundesvorstand der Partei auf die Nerven, weil sie seit Jahren zerstritten ist, durch Austritt von Abgeordneten ihren Fraktionsstatus im Parlament in Hannover verloren hatte und derzeit auch mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen ihren stellvertretenden Landesvorsitzenden leben muss.
Energie, Preise, Sicherheit: Was Deutschland bewegt, bewegt auch Niedersachsen
Aber der Trend führt ein Eigenleben weit über Hannover hinaus bei dieser Landtagswahl, die diesmal nicht von lokalen Themen dominiert wird. Probleme bei der Unterrichtsversorgung, Umbau der Autoindustrie, schleppendes Tempo bei der Digitalisierung - all das spielte in den Wahlkampfwochen nur eine Nebenrolle.
Das niedersächsische Kernkraftwerk Emsland soll im Energiesicherungsspagat von Robert Habeck zum Jahresende wie geplant endgültig abgeschaltet werden, im Gegensatz zu den beiden süddeutschen noch laufenden AKW. Frei- und Christdemokraten glauben, hier die Achillesferse der Berliner Ampel ausgemacht zu haben. Sie kritisieren das Ende von Emsland als ideologische Entscheidung gegen jede Vernunft, nur um die Basis der Landes-Grünen nicht zu verprellen.
Die Spitzenkandidaten der Niedersachsen-Wahl im Überblick:
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Atomtourismus im Wahlkampfendspurt
Der CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann hatte für Samstag noch einen spontanen Auftritt am Atomkraftwerk auf seine Wahlkampfagenda gesetzt, zusammen mit dem Bundesvorsitzenden Friedrich Merz. Sie waren bereits auf dem Weg dorthin, dann musste der Termin allerdings sehr kurzfristig abgesagt werden. Vorher hatte schon FDP-Spitzenkandidat Stefan Birkner dem Meiler in Lingen einen Besuch abgestattet.
Atomtourismus im Endspurt, so die Hoffnung, könnte mit einem eigentlich längst abgehakten Thema noch einmal Wählerschaften mobilisieren, denen Stromsicherheit um jeden Preis lieber ist, als dass die Ablehnung nuklearer und fossiler Energie die Bürger in der Krise womöglich teuer zu stehen kommt.
- Niedersachsen: Wahl-O-Mat zur Landtagswahl
14 Parteien haben 38 Thesen beantwortet: zu Themen wie LNG-Terminals, Strom aus Kohle, Tempo 30 innerorts.
Schwarz-Grün durch Atomfrage vom Tisch?
Konservative und Freie Demokraten schüren zum Ende des Wahlkampfes die Angst, dass mit einer neuen rot-grünen Regierung in Hannover Realpolitik durch Blütenträume ersetzt werden könnte. Niedersachsens Grüne sind geprägt von linker und fundamentalistischer Tradition, die sich in die DNA des Landesverbandes geschrieben hat - auch durch jahrelangen Kampf gegen ein atomares Endlager im niedersächsischen Gorleben.
Mit der neuen Konfrontation in der Nuklearfrage ist damit aber vermutlich auch die Denkfigur einer schwarz-grünen Koalition vom Tisch, mit der sich mancher schon anzufreunden begann, als die Wahlforscher vor wenigen Wochen CDU und SPD beim Rennen um die stärkste Kraft noch Kopf an Kopf sahen.
Auch wenn die grüne Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg ein klitzekleines Hintertürchen formuliert, eine Art Katzenklappe Richtung CDU: "Natürlich haben wir mit der SPD mehr Schnittmengen. Aber am Ende entscheidet sich ein Bündnis an der Frage, wo mehr grüne Handschrift drin ist."
Ministerpräsident Weil empfängt zum Wahlkampfabschluss Kanzler Scholz
Ministerpräsident und SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil empfing am Samstag zum gut besuchten Wahlkampfabschluss in Hannover nochmal den Kanzler, bei abwechselnd Regen und Sonnenschein. Das Leitthema auch hier, fast einzig und allein: Unser aller Zukunft in einer unsicher gewordenen Welt.
Die Landtagswahl in Niedersachsen ist geprägt durch aktuelle Krisen wie Inflation und Krieg. Bettina Schausten berichtet aus dem ZDF-Wahlstudio in Hannover.
Dieser Landtagswahlkampf im geopolitischen Spannungsfeld hat selbst für erfahrene Politiker eine ungewohnte Qualität bekommen. Weil, den sich laut ZDF-Politbarometer eine Mehrheit wieder als Landesvater wünscht, sagt gegenüber dem ZDF: "Ich habe noch keinen Wahlkampf erlebt, wo in den Gesichtern der Leute so viele Fragezeichen standen, wo so viele Sorgen zum Ausdruck gebracht wurden."
Querfront-Protest gegen Scholz
Während Olaf Scholz auf der SPD-Bühne sprach, artikulierten 3.000 Demonstranten im Zentrum Hannovers ihre Sorge, aber auch Wut und Zorn. Die Querfront hatte zu dem Marsch aufgerufen, einem bunten Zug aus Regierungskritikern, Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern. Hier und da liefen auch Hakenkreuz-Tätowierungen mit.
Damit die Protestierenden an einer Engstelle nicht zu nah an der von Polizei massiv abgesicherten Kanzlerkundgebung vorbeiziehen mussten, wurden sie kurzfristig umgeleitet. So marschierte die Querfront letztlich direkt am Säulenportal des niedersächsischen Landtages entlang, dessen Türen für die Aufbauten zum Wahltag weit offen standen.
Die Landtagswahl am 9. Oktober wird ein Test für die Berliner Ampel. SPD-Ministerpräsident Weil will sein Amt verteidigen, gegen seinen Herausforderer und Koalitionspartner Althusmann von der CDU.
Hätten die Demonstranten entschieden, in das Parlament einzudringen, dann hätte sie kein Polizeiaufgebot davon abhalten können. Alle Aufmerksamkeit der Sicherheitskräfte war auf den Kanzler 100 Meter weiter gerichtet.
Was der Ausgang in Niedersachsen für die Ampel bedeutet
Die Koalition in Berlin ist im Stresstest, und die Wahl in Hannover wird auch ein Lackmustest für die Ampel. In einem Landtagswahlkampf, in dem alle Augen nach Berlin schauen, selbst die des CDU-Herausforderers Bernd Althusmann. Zum Wahlkampfabschluss formulierte er deutlicher die Absage an eine neue große Koalition, die er - mit dem Wunsch einer CDU als stärkster Kraft - vorher nie ausgeschlossen hatte: "Ich sage ganz klar: Herr Weil ist Teil der Ampel. Er stützt sie, und diesen Kurs können wir so nicht unterstützen."
- Wahl in Niedersachsen: Wer könnte mit wem?
Am 9. Oktober wird in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt. Das Koalitionsnavi schaut, bei welchem Parteienbündnis es inhaltlich passen würde.