Lanz: Gerhart Baum und Peter Brandt streiten über Russland

    Sohn von Ex-Kanzler bei "Lanz":Brandt: Bild des "guten Westens" Illusion

    von Pierre Winkler
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    FDP-Politiker Gerhart Baum sieht im Ukraine-Krieg einen historischen Bruch. Auch Historiker Peter Brandt verurteilt Russland, sieht aber ebenso die Rolle der Nato kritisch.

    Markus Lanz vom 2. November 2022: Markus Lanz, Gerhart Baum, Peter Brandt
    Über die weltweite Menschenrechtslage sowie zum Wandel der politischen Kultur03.11.2022 | 44:47 min
    FDP-Politiker Gerhart Baum hat ein vernichtendes Urteil über Russlands politische Führung gefällt. "Die Russen legen überhaupt keinen Wert mehr auf wirtschaftliche Entwicklung", sagte er am Mittwochabend bei "Lanz". Eine halbe Million vor allem junge Menschen hätten das Land seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine verlassen:

    Es gibt keine Investitionen. Jemand hat gesagt, das ist eine 'Tankstelle mit Atomwaffen'. Also die haben überhaupt kein Gefühl, dass sie das Land entwickeln müssen.

    Gerhart Baum, FDP-Politiker

    Peter Brandt, Historiker und Sohn von Willy Brandt, spricht sich dagegen für einen differenzierten Blick der Lage in Osteuropa aus - auch in Bezug auf die Rolle der Nato.

    Baum: Angriffskrieg gegen Ukraine leitete "historischen Bruch" ein

    Russlands Angriff auf die Ukraine sieht Baum zudem als historischen Bruch. "Zum ersten Mal bedroht uns mitten in einem Krieg - uns, die wir die Charta der Vereinten Nationen verteidigen - jemand mit Atomwaffen. Das habe ich seit 1945 nicht erlebt", sagte der 90-Jährige.
    In dieser Situation habe die Unterstützung der Ukraine eine ganz besondere Bedeutung: "Wir liefern Waffen und sie opfern ihr Leben. [...] Die Russen wollen die Ukraine als Staat vernichten und als Demokratie."

    Wir müssen doch im Grunde sagen, verdammt nochmal, dass die so kämpfen! [...] Das ist doch toll! Das betrifft uns alle. Sie verteidigen die freie Welt.

    Gerhart Baum, FDP-Politiker

    Peter Brandt: Illusion des "guten Westens"

    Seit vielen Jahren tritt Baum immer wieder als Mahner für Freiheit und Menschenrechte auf. Von 1978 bis 1982 war er unter Kanzler Helmut Schmidt Innenminister. Davor hatte er in den 1970er-Jahren als politischer Weggefährte die Ostpolitik von Kanzler Willy Brandt mitgetragen. Brandts Sohn Peter jedoch bewertet die Lage in Osteuropa heute ganz anders als Baum. Der Historiker sagte:

    Wenn ich das richtig sehe, gibt es einen einzigen Staat, der in der Geschichte schon mal Atomwaffen benutzt hat: ein großes Kriegsverbrechen, die USA gegen Japan 1945.

    Peter Brandt

    Damit provozierte er Baums vehementen Widerspruch. Brandt wandte sich auch gegen die Vorstellung des "guten Westens", der alleine das Völkerrecht verteidige. "Es geht erstens um Interessen, zweitens um Interessen, drittens um Interessen", sagte er. Russlands Krieg in der Ukraine sei völkerrechtswidrig, betonte Brandt. "Ich habe kaum Leute getroffen, die der Ukraine empfehlen, einseitig zu kapitulieren", sagte er.

    Die andere Seite ist, dass die Vorgeschichte viel komplizierter ist. Das war ein Mechanismus, wo beide Seiten beteiligt waren und wo nicht genügend überlegt worden ist, die Sicherheitsinteressen Russlands mit in den Blick zu nehmen.

    Peter Brandt

    Die Osterweiterung der Nato seit 1999 wäre "problematisch für jede denkbare russische Regierung", so Brandt.

    Baum: Bedrohung für Putin nicht Nato, sondern eigenes Volk

    "Überhaupt nicht!", entgegnete Baum. Russlands Präsident Wladimir Putin fühle sich nicht durch die Nato bedroht, sondern durch sein eigenes Volk.
    Baum bezeichnete Brandts Argumentation als "Nato-Legende" und blickte auf die eigene Geschichte: "Wir als Deutsche haben ganz Osteuropa überfallen, haben gemordet, haben Polen überfallen, die baltischen Staaten. Und jetzt wollen wir ihnen vorschreiben, ob sie in die Nato eintreten oder nicht?" Deutschland und die Nato bedrohten Russland nicht, so Baum weiter. "Das sagt die Nato, aber die russische Seite nimmt das anders wahr", antwortete Brandt.
    Baum äußerte insgesamt Angst vor dem wachsenden Einfluss autoritärer Regime auf internationaler Ebene. Gerade darum brauche es Parteien, die für Freiheit einstünden, erklärte er. Baum sei darum 1954 in die FDP eingetreten. Ob er das heute auch noch tun würde unter Parteichef Christian Lindner, mit dem Baum immer wieder öffentlich aneinandergeraten ist? "Das ist die Frage, die Hans-Dietrich Genscher immer so beantwortet hat: 'Bisher war der Abend so schön'", so Baum.
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