Der ukrainische Botschafter Melnyk kritisiert die Reaktion der Bundesregierung auf Russlands Einmarsch in die Ukraine als "kaltherzig". Die Ukraine sei das "Opferlamm".
Zur weiteren Vorgehensweise der Bundesregierung im Russland-Ukraine-Konflikt, die Folgen für die europäische Friedensordnung und was die Ukraine nun von der Nato erwartet
"Also, ich muss Ihnen sagen, dass ich schon viele Jahre nicht mehr geweint habe", begann der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk am Donnerstagabend bei Markus Lanz. "Heute war dieser Tag und wir haben geweint." Allerdings nicht nur wegen des "perfiden Vernichtungskrieges", der gegen die Ukraine gestartet worden sei.
"Ich habe tatsächlich heute geweint wegen der Kälte und der Gleichgültigkeit, die mir heute im Laufe des Tages in Berlin entgegenschlagen hat", kritisierte Melnyk auch die Bundesregierung.
Melnyk: "Wirklich sprachlos"
Er habe sich mit vielen Regierungsmitgliedern der Ampel-Koalition getroffen. Auf seine Bitte sei der ukrainische Botschafter von "einigen Ministern" empfangen worden, die er um "Kraftstoffe und Ausrüstung für die Armee" gebeten habe. Deren Antwort habe Melnyk "wirklich sprachlos" gemacht:
"Nach unserer Einschätzung bleiben Ihnen, den Ukrainern, vielleicht wenige Stunden. Das macht jetzt keinen Sinn, euch überhaupt zu helfen."
phoenix runde: "Putin greift an – was wird aus der Ukraine?" mit Klaus von Dohnanyi, SPD, ehem. Reg. Bürgermeister Hamburg, Agnieszka Brugger, Grüne, stellv. Fraktionsvorsitzende Bundestag, Liana Fix, German Marshall Fund und Alan Posener, freier …
Ukrainischer Botschafter kritisiert Bundesregierung als "kaltherzig und stur"
Der ukrainische Botschafter könne nicht verstehen, wie man angesichts der Soldaten, die getötet und die Zivilisten, die beschossen würden, "so kaltherzig und stur" bleiben könne. Dass die Ukrainer "umgehauen und gar nicht gehört" würden, könne nicht wahr sein, so Melnyk.
Andrij Melnyk appellierte deshalb an "die Deutschen, an unsere Freunde, dieses wunderschöne Land": "Bitte helfen Sie uns, die Bundesregierung umzustimmen. Diese Politik, diese Zögerlichkeit lässt uns als Opferlamm, das geschlachtet wird, vor laufenden Kameras."
In der Hauptstadt Kiew ergreifen Menschen die Flucht – von Osten, Norden und Süden dringen Putins Truppen ins Land, so die ukrainische Regierung. Die russische Großoffensive ist in vollem Gange.
Quadbeck zeigt sich betroffen
Die Journalistin Eva Quadbeck zeigte sich angesichts dieser Schilderung betroffen. Mit Blick auf Melnyks Worte sagte sie:
Das Problem der Ampel-Regierung wie auch der Vorgänger-Regierung sei, dass Deutschland einfach nicht "aus der Komfortzone" herauskäme, so Quadbeck. Für die Sanktionen auf europäischer Ebene hätte es zunächst "einen großen Move" gegeben, das Swift-Abkommen - das internationale Finanzsystem - auf die Sanktionsliste zu setzen.
Schwere Sanktionen für Russland
Diese Sanktion hätte Russland wirklich davon abgeschnitten, international Geschäfte tätigen zu können, wie die Journalistin bei "Lanz" betonte. Sie sagte: "Nach allem, was man hört und was Kollegen berichten, war es wohl die deutsche Seite, die sich auf die Bremse gestellt hat."
Das Swift-Abkommen sei "das schärfste Schwert, was wir bei den Sanktionen gehabt hätten", stellte Quadbeck klar. Und weiter: "Wann, wenn nicht an einem Tag wie heute, setzt man wirklich alle Sanktionsmöglichkeiten in Gang, die man in der Hinterhand hat?"
Die EU ziele mit Sanktionen auf das Umfeld von Wladimir Putin, berichtet Anne Gellinek aus Brüssel. Die USA habe sich u.a für "Verbote von Exporten an Hightech-Industrien" entschieden, so Elmar Theveßen aus Washington.
CDU-Außenpolitiker Röttgen vermisst Taten
Auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen analysierte das Vorgehen der deutschen Bundesregierung: "Meine Einschätzung ist, dass wir abstrakt viel entschlossener reden: 'volle Solidarität, Zeitenwende, historischer Bruch, Krieg, Angriffskrieg'."
Werde es dann aber konkret, von den finanziellen bis hin zu den militärischen Maßnahmen, so habe Röttgen festgestellt, dass es immer noch nicht in Taten umgesetzt werde, was man in Worten an Veränderungen beschreibe.
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