Der Philosoph Richard David Precht hält die Zeit der "ungebremsten Wohlstandsmehrung" für beendet. Dennoch bleibe das Problem der "systematischen Gier" unserer Konsumgesellschaft.
Über die Umbruchphase, in der sich die Welt befindet, und die Veränderung von Gesellschaftsmodellen, Klima, Wirtschaft und Machtachsen.
Die europäische Sicherheitsordnung - ein Scherbenhaufen. Energieknappheit und immer weiter steigende Inflationsraten drohen. Was wird aus dem deutschen Wohlstand? "Wir gehen sehenden Auges in tatsächliche Untergangsszenarien rein. Wir müssen da raus", so die Warnung des Philosophen Richard David Precht am Dienstagabend bei Markus Lanz.
Precht: Überfluss erreicht Grenze
Zwar gäbe es auch in Deutschland Leute, die "zu wenig haben", das sei jedoch "nicht die Mehrheit", wie Precht betonte.
Ein Deutscher würde etwa durchschnittlich 7.000 Gegenstände besitzen, erklärte Precht. Precht betonte zudem die Konsequenz eines potentiellen Konsumrückgangs: "Wenn die Gier der Menschen nach Neuem und Anderem und mehr Konsum nachlässt, kriegen wir ein enormes Problem." Die zugespitzte These des Philosophen:
Über 13 Millionen Menschen leben in Deutschland in Armut. Unter dem Hashtag #ichbinarmutsbetroffen wehren sich arme Menschen gegen Vorurteile.
Konsum bis zum Kollaps?
Würden Bürgerinnen und Bürger sagen, dass sie nicht viel brauchen, sie das neueste Handy nicht bräuchten und nur einmal im Jahr ein Paar neue Schuhe, würde "unsere ganze Volkswirtschaft" zusammenbrechen, so Precht.
Er verwies auf einen Widerspruch zwischen der Gefahr eines Wirtschaftszusammenbruchs und einer erforderlichen Veränderung unseres Konsumverhaltens im Sinne des Klimaschutzes:
Die Folge seien zudem "gigantische Migrationsströme aufgrund unserer CO2-intensiven Produktion". Das Problem im Kampf gegen jene Untergangsszenarien liege im System, so Precht: "Völlig egal, ob wir persönlich gierig sind, [...] unser Wohlstand basiert auf systematischer Gier."
Systembedingt "hungrige Gesellschaft"
Verzicht würde "auf individueller Ebene" zwar funktionieren, nicht jedoch "systematisch". Denn: "Wir leben in einer Bedarfsweckungsgesellschaft, nicht in einer Bedarfsdeckungsgesellschaft", so Precht. Und weiter: "Heute leben wir in einer Welt, in der das Wichtigste Sinn, Lust ist und in der die wichtigsten Wohlstandswerte Zeit und Raum sind und nicht notwendigerweise Gegenstände."
Konkret, so Precht, meine das "Zeit für mich, Zeit für meine Freunde, Zeit für meinen Sport" und "genug Raum für sich haben, [...] Raum verbunden mit dem schwierigen Thema des Reisens, dass man überall sein kann [...], weil Fliegen billig ist". Precht sagte: "Systembedingt dürfen wir keine in dem Sinne genügsame, [...] sondern wir müssen eine hungrige Gesellschaft sein."
Der deutsche Philosoph und Schriftsteller Richard David Precht spricht mit Markus Lanz darüber, ob Waffenlieferungen der Ukraine helfen oder nicht.
Precht: Wachstumsversprechen in der Politik gehören zum Problem
Das lasse sich auch in der Politik beobachten: "Wir haben Regierungen oder in Wahlkämpfen Politiker, die jedes Mal versprechen: Es wird mehr. Wirtschaftswachstum ist der zentrale Begriff." So habe Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel keine Rede zur Lage der Nation gehalten, in der nicht von Wirtschaftswachstum die Rede gewesen sei. Precht stellte hingegen klar:
Angesichts der derzeitigen Weltlage, die Precht als eine "Zeit [...] der Krisen, Veränderungen, Verschiebungen der großen Plattentektonik" bezeichnete, würden die Menschen nun mit einem "Gefühl einer totalen Überforderung" erwachen. Er resümierte: "Diese ungebremste Wohlstandsmehrung wird es vermutlich nicht mehr geben können." Und weiter: "Die Zeit, wo wir auf der Insel der Seligen gelebt haben, die ist vorbei."
- EU senkt Prognose für Wirtschaftswachstum
Von 4 auf 2,7 Prozent: Die EU-Kommission hat ihre Wachstumsprognose für die europäische Wirtschaft drastisch nach unten korrigiert. Grund sind die Folgen des Ukraine-Kriegs.