Markus Söder wirbt dafür, die verbliebenen drei Atomkraftwerke in Deutschland noch drei Jahre weiterlaufen zu lassen. Für Ökonom Marcel Fratzscher ist das eine schlechte Idee.
Wie kann Deutschland unabhängiger von russischer Energie werden? Bayerns Ministerpräsident Söder schlägt vor, die Atomkraftwerke noch weitere drei Jahre am Netz zu lassen.
Hat Deutschlands russlandfreundliche Wirtschaftspolitik Wladimir Putin erst stark gemacht? Eine Frage, die Ökonom Marcel Fratzscher bei Markus Lanz am Dienstagabend bejahte. Sehenden Auges habe man sich in immer stärkere Abhängigkeit von russischem Gas und Öl begeben - und so mit dazu beigetragen, dass Putin mit jährlichen Einnahmen von 200 Milliarden Euro seine Kriegsmaschinerie aufbauen konnte.
Man habe kurzfristige Profite über langfristige Perspektiven gesetzt, so Fratzscher.
Söder: Deutschland schon lange abhängig von russischem Gas
Kritik, die an diesem Abend ganz besonders an den aus München zugeschalteten Markus Söder gerichtet war. Söder verwies darauf, dass Deutschland schon seit langer Zeit von russischem Gas abhängig sei. "Das ist dann nochmal verstärkt worden durch den Atomausstieg", so Söder.
Bis 2011 sei Bayern vor allem von Kernenergie abhängig gewesen. Nach dem Ausstieg habe dann die gesamtdeutsche Energieplanung auf Gas als Brückentechnologie gesetzt.
Gefährlich und teuer
Söder: Das war eine Notwendigkeit
"Das war eine Notwendigkeit, die es gegeben hat", sagte Söder. Fratzscher widersprach dieser Darstellung. Nicht der Atomausstieg habe die Gasabhängigkeit forciert. Sondern bei der Energiewende habe man schlicht nicht genug in erneuerbare Energien investiert - sowohl der Bund als auch die Länder. Die Erneuerbaren müsse man nun viel schneller ausbauen. "Das hat die Politik in Deutschland in den letzten zehn, 15 Jahren verschlafen."
Söder: Es braucht eine "Übergangszeit"
Söder hielt dagegen mit der Aussage: "Es ist nicht so leicht, wie es sich am Abend im Fernsehen sagen lässt." Es brauche eine Übergangszeit. Der Weg aus der jetzigen Misere für Söder: Der Weiterbetrieb der drei am Stromnetz verbliebenen Atomkraftwerke.
"Wenn wir die noch laufen lassen, dann haben wir für zehn Millionen Haushalte Strom", sagte Bayerns Ministerpräsident. Der Ersatz seien 3.000 Windräder. Einen solchen Ausbau bekomme man "nicht über Nacht" hin.
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Kohlekraftwerke weiter laufen lassen?
Söder verwies zudem darauf, dass die Mehrheit der europäischen Nachbarn auf Kernenergie setze. Sein Schluss: Wenn jetzt schon Energie in Deutschland fehle und man sich vollständig unabhängig von Russland machen wolle, dann müsse man vorhandene Kraftwerke weiterlaufen lassen. "Das gilt für Kohle und für den Übergangszeitraum auch noch für die Kernkraft".
Auf Nachfrage sagte Söder konkret zum Weiterbetrieb der drei AKWs: "Ich würde es für drei Jahre weiterlaufen lassen, so wie es 75 Prozent der Deutschen im Moment auch empfinden."
Atomkraft teurer als erneuerbare Energien
Erneut war es Ökonom Fratzscher, der vehement dagegen ging. "Die ökonomischen Fakten sprechen eine sehr andere Sprache", stellte er klar. Atomkraft sei demnach "viel, viel teurer als erneuerbare Energien".
Außerdem wisse man nicht, was man mit dem Atommüll anfangen solle, entsprechend sei der Ausstieg völlig richtig. Ansatzpunkt für Fratzscher stattdessen: schnellerer Ausbau der Windkraft. Sechs Jahre brauche aktuell der Antrag für ein Windkraftrad bis zur Genehmigung. Das sei viel zu lang. Denn eigentlich seien erneuerbare Energien "ökonomisch gesehen der richtige Weg" und "deutlich, deutlich günstiger" als Atomkraft.
In Niedersachsen stehen seit fast fünf Jahren zwei halbfertige Windräder auf einer Wiese und warten auf den Weiterbau. Der aber wird durch Bürokratie und Widerstand einer Bürgerinitiative enorm verzögert.
Konflikte zwischen Natur- und Klimaschutz
Söder sagte abschließend: "Ich bin kein Kernenergiefetischist." Gerade beim Windkraft-Ausbau habe man es aber eben auch mit vielen Klagen zu tun, es gebe hier Zielkonflikte zwischen Naturschutz und Klimaschutz. "Wir wollen wirklich unseren Beitrag bringen", sagte Söder. Doch könne das nicht nur über die Favorisierung von Energien gehen, die im Norden stark seien.