Lehrernotstand: Warum es in Sachsen-Anhalts Schulen hakt

    Lehrernotstand und Brandbriefe:Warum es in Sachsen-Anhalts Schulen hakt

    Annette Pöschel, Redakteurin im ZDF-Landesstudio Sachsen-Anhalt.
    von Annette Pöschel
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    Lehrermangel ist bundesweit ein Problem. Besonders aber in Sachsen-Anhalt. Mit einem Pilotprojekt und Headhuntern will das Bundesland den Unterrichtsausfall bekämpfen.

    Seit 30 Jahren unterrichtet Doreen Melms Mathe und Physik. Und noch immer mit Leidenschaft. Doch seit sie die Sekundarschule in Osterburg leitet, muss sie sich vor allem dem Lehrermangel widmen: Statt 103 Prozent Unterrichtsauslastung - so das Ziel der schwarz-rot-gelben Landesregierung in Sachsen-Anhalt -, liegt ihre Schule bei deutlich unter 80 Prozent.
    Damit steht sie noch nicht einmal besonders schlecht da in Sachsen-Anhalt. Besonders betroffen: Physik und Englisch, Sport und Musik.
    Quer durch Klassen und Fächer musste sie die Anzahl der Stunden kürzen und nun auch die Unterrichtsstunden selbst, erklärt Melms:

    Wir fahren das 40+5 Modell. Also statt 45 Minuten nur 40.

    Doreen Melms, Lehrerin in Sachsen-Anhalt

    "Das spart pro Tag und Klasse 30 Minuten", so Melms weiter. Wenn doch mal Lehrer krank werden, muss sie ganze Klassen einen Tag pro Woche zu Hause lassen. Zum Distanzlernen. An manchen Schulen geht der Trend gar zu zwei Tagen pro Woche.

    Lehrermangel vor allem in Sekundar- und Gemeinschaftsschulen

    Bis 2035 werden bundesweit mindestens 23.800 Lehrer fehlen, schätzt die Kultusministerkonferenz KMK. In Sachsen-Anhalt fehlen laut Bildungsministerium schon jetzt mehr als 930 - quer durchs Land, vor allem betroffen Sekundar- und Gemeinschaftsschulen. Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) sagte dazu jüngst im Landtag:

    Wir müssen jeden Stein umdrehen, jede Regelung aus der Vergangenheit auf Sinnhaftigkeit, auf Effizienz überprüfen.

    Eva Feußner, Bildungsministerin Sachsen-Anhalt (CDU)

    Lehrermangel
    An einigen Schulen in Sachsen-Anhalt gilt seit den Sommerferien die 4-Tage-Woche. Einen Tag werden die Kinder ins Homeschooling geschickt. Auslöser dafür ist der Lehrermangel.22.10.2022 | 4:24 min
    Bislang setzt sie vor allem auf Seiten- und Quereinsteiger, also Akademiker, die in den Schuldienst wechseln wollen. Und bundesweit wohl einmalig: Headhunterfirmen rekrutieren im Ausland, haben so bislang rund 90 Lehrkräfte angeworben.

    Wirtschaftskooperationen als Unterrichtsersatz

    Nun will sie die Schulen "zum Ausprobieren und Experimentieren anregen" - mit Blick auf digitale Lösungen und Wirtschaftskooperationen. Das Stichwort lautet 4+1. Heißt: Die Schüler gehen vier Tage in die Schule und haben einen Digitaltag oder Praxis in Firmen.
    Ein Modellversuch ist in diesem Schuljahr gestartet. Nun legt das Ministerium ein Stipendium auf: Monatlich 600 Euro - im Gegenzug müssen die Stipendiaten nach ihrem Abschluss in Sachsen-Anhalt arbeiten.
    arbeitslose Lehrer
    Rund 8.000 Lehrer in Baden-Württemberg werden nur mit befristetem Vertrag während des Schuljahres angestellt. Obwohl Lehrermangel herrscht, will das Land bisher kein Geld für feste Stellen ausgeben. 02.08.2022 | 1:59 min

    Lehramtskandidaten übernehmen Schulunterricht

    Vielleicht ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch die Hansestadt Gardelegen macht das seit Jahren erfolgreich vor. Eine ihrer aktuellen Stipendiaten ist Sophie Schönebeck. Sie absolviert derzeit ihr Referendariat in Biologie und Religion. Daneben arbeitet sie für ein paar Stunden als Lehrerin in Kalbe.
    Das ist eigentlich nicht vorgesehen - und mutet vielleicht auch ein wenig verrückt an: In der einen Schule ist sie in Ausbildung, in der anderen eigenverantwortlich Lehrerin.
    Doch Sophie Schönebeck hatte bereits während ihres Studiums dort gearbeitet; in Sachsen-Anhalt ist das ab dem Bachelor-Abschluss möglich. So konnte sie frühzeitig Praxiserfahrungen sammeln und gleichzeitig helfen, den Lehrermangel ein wenig zu lindern.

    Geringes Gehalt und NCs als Hürden

    Eva Gerth, Vorsitzende der GEW Sachsen-Anhalt, drängt auf einen Ausbau der Lehramtsausbildung. Bislang ist die vor allem in Halle an der Saale, im Süden von Sachsen-Anhalt, angesiedelt. Es brauche aber eine Stärkung an der Universität in Magdeburg für die nördlichen Regionen. Und vor allem dürfe es keine NCs auf Lehramtsfächer geben.
    Ein großes Problem sei auch immer noch die ungleiche Bezahlung der Grundschullehrer. Während die östlichen und nördlichen Bundesländer das Gehalt auf A13 bzw. E13 angehoben haben und andere dies planen, hält Sachsen-Anhalt noch an A12 bzw. E13 fest - das macht im Portemonnaie mehrere 100 Euro aus.

    Brandbriefe und massive Kritik von Eltern und Kommunalpolitik

    Zunehmend werden Eltern lauter, wollen den grassierenden Unterrichtsausfall - und die damit regelmäßig ausfallenden Zeugnisnoten - nicht mehr hinnehmen. Mit Streik und Brandbriefen etwa üben sie massiv Kritik an den Zuständen.
    Besonders die "Magdeburger Erklärung" sorgte Ende 2022 für Aufsehen. Die prominenten Unterzeichner aus Kommunalpolitik, der Kammern sowie Hochschulen fordern in einem 10-Punkte-Plan eine "zügige und lösungsorientierte Auseinandersetzung mit den akuten Problemen in der Unterrichtsversorgung."

    Dialogversuch der Politik gegen Unterrichtsausfall

    Vor diesem Hintergrund hat diese Woche Donnerstag Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) in die Staatskanzlei geladen, zum Bildungspolitischen Dialog.
    Ressortübergreifend soll mit Eltern, Lehrern und Gewerkschaften sowie Vertretern aus Wissenschaft und Wirtschaft beraten werden, wie das Land die Situation an den Schulen und in der Ausbildung verbessern kann.
    Annette Pöschel ist Reporterin im ZDF-Landesstudio Sachsen-Anhalt.

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    :Lehrkräftemangel größtes Problem an Schulen

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    Stühle stehen auf Tischen in einem leeren Klassenzimmer. Archivbild

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