Zum Schulanfang fehlen wieder tausende Lehrkräfte. Experten erklären, woran das liegt und was dagegen getan werden kann.
In Deutschland fehlen Lehrkräfte – und täglich grüßt das Murmeltier – diese Nachricht ist nicht neu. Zum Schulbeginn jetzt scheint es aber besonders dramatisch zu sein. "Dieses Schuljahr ist das schlimmste Schuljahr seit 50 Jahren", sagt Hans-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes ZDFheute. Der Verband schätzt, dass bundesweit 30.000 bis 40.000 Stellen unbesetzt sind.
Und die Erfahrung zeigt laut Meidinger: "Das ist nur ein Vorgeschmack für das, was uns im Laufe des Schuljahres droht." Dann machten sich Ausfälle wegen Krankheiten oder Schwangerschaft bemerkbar. "Wir hoffen, dass Corona nicht wieder so schlimm wird, aber Corona ist nicht weg, und wir wissen nicht, wie viele zusätzliche Flüchtlinge noch nach Deutschland kommen."
Welche Ursachen hat der Lehrermangel?
"In Deutschland erleben wir derzeit einen Fachkräftemangel in allen Bereichen. Davon sind auch die Schulen betroffen", begründet die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Karin Prien den Mangel an Lehrkräften. Meidinger vom Lehrerverband sieht auch hausgemachte Probleme:
Schon vor zehn Jahren hätten Lehrkräfte angeworben werden müssen. "Das ist verpennt worden." Der "zweite Riesenfehler" ist laut dem Lehrerverbandspräsidenten, dass mit dem Geburtenrückgang in den 90er Jahren massiv Lehramtsstudienplätze abgebaut wurden. "Das hätte man nie zulassen dürfen."
Dazu kommen Meidinger zufolge externe Faktoren: Während der Flüchtlingsbewegung 2015 und 2016 sind viele Familien mit Kleinkindern nach Deutschland gekommen, aktuell kommen die Geflüchteten aus der Ukraine dazu. Der Kultusministerkonferenz zufolge gab es Ende August 163.253 geflüchtete Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine in Deutschland.
Der Lehrermangel in Sachsen-Anhalt ist gravierend, deshalb hat das Land zwei Scouting-Agenturen beauftragt, um europaweit nach Lehrern und Seiteneinsteigern zu suchen.
Laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fehlt vielen Lehrerinnen und Lehrern die Wertschätzung. In Baden-Württemberg beispielsweise würden schätzungsweise 8.000 bis 9.000 in den Sommerferien in die Arbeitslosigkeit geschickt, bevor sie zum neuen Schuljahr wieder eingestellt werden.
Auch Meidinger ist der Meinung, dass die Arbeitsbedingungen eine Ursache sind: Im Vergleich zu anderen Ländern, hätten deutsche Lehrkräfte relativ viele Stunden außerdem müssten sie Verwaltungsarbeit leisten und die Aufstiegschancen seien gering.
Rund 8.000 Lehrer in Baden-Württemberg werden nur mit befristetem Vertrag während des Schuljahres angestellt. Obwohl Lehrermangel herrscht, will das Land bisher kein Geld für feste Stellen ausgeben.
Wie könnte der Mangel an den Schulen gelöst werden?
Kurzfristig gibt es Meidinger zufolge keine Lösung, nur Notmaßnahmen: Quereinsteiger könnten gewonnen und nachqualifiziert werden oder Pensionisten aus dem Ruhestand geholt werden. Daniel Merbitz, Vorstandsmitglied der GEW, fordert langfristig "mehr Fachkräfte, die nicht-pädagogische Arbeiten übernehmen, um Lehrkräfte von administrativen Aufgaben oder IT-Betreuung zu entlasten."
"Die Kultusministerkonferenz setzt derzeit einen wesentlichen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Fachkräftegewinnung", so Präsidentin Prien. Die Länder hätten das Problem erkannt und konzentrierten sich verstärkt auf die Gewinnung und Qualifizierung von Lehrkräften. Oberstes Ziel sei "die Sicherstellung der verlässlichen Unterrichtsversorgung", so Prien.
Auch Digitalisierung werde laut Prien eine wichtige Rolle spielen.
Was kann in Zukunft getan werden?
Es brauche eine Reserve an Lehrern und Lehrerinnen, sagt Meidinger: "In Zeiten, in denen genug Lehrkräfte da sind, sollte über Bedarf eingestellt werden". Wenn es dann mehr als genug Lehrer und Lehrerinnen gebe, könnten beispielsweise die Klassen verkleinert werden. Bei einem Mangel könne man die Klassen wieder vergrößern und die dadurch freien Lehrkräfte anderweitig einsetzen.
Im deutschen Lehrerverband werde Meidinger zufolge darüber diskutiert, wie man den Beruf für junge Leute, die gerne eine flexiblere Laufbahn hätten, attraktiver machen kann. Durchlässigkeit zu anderen Berufen wie Wirtschaft oder Hochschulen und bessere Aufstiegschancen sind im Gespräch.
Wegen Lehrermangel müssen an der Realschule Greiz-Pohlitz sogar Hauptfächer ausfallen. Dadurch entsteht für die Schüler ein großer Lernrückstand. Das Problem ist bei ländlichen Schulen kein Einzelfall.
Lehrkräfte: Wo gibt es aktuell die größten Lücken?
Sachsen-Anhalt ist mit einer Unterrichtsversorgung von aktuell nur 92 Prozent in das neue Schuljahr gestartet, wie das Ministerium für Bildung mitteilt. In Nordrhein-Westfalen sieht es (Stand 1. Juli) laut zuständigem Ministerium besser aus: Die Versorgung liegt bei 97,27 Prozent.
Insbesondere Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Das liege Meidinger zufolge daran, dass dort besonders stark Studienplätze abgebaut wurden und die Verrentungswelle - die der Westen schon hinter sich hat – auf "vollen Touren" läuft. Aber auch besonders im ländlichen Bereich, gebe es "enorme Probleme, jemanden zu finden".
Von den verschiedenen Schularten sind Grundschulen besonders betroffen, so Meidinger. Denn dort seien besonders die Lehramtsstellen abgebaut worden. Und: