Christian Lindner erfährt auf seiner Washington-Reise die Wucht der globalen Doppel-Krise. Russlands Krieg lähmt internationale Organisationen. Und dann bekommt er noch Corona.
Alles ist vorbereitet im Roosevelt-Ballsaal des Fairmont-Hotels. Die Getränke kaltgestellt, die Stehtische belegt mit Journalisten und Christian Lindners (FDP) Entourage. Fehlt nur noch er selbst. Aber er kommt nicht. Denn kurz vorher hatte der Finanzminister einen positiven Corona-Test.
Ärgerliche Absagen
Auch das informelle Abendessen mit US-Finanzministerin Janet Yellen und anderen G7-Vertretern musste er absagen. Statt über die Verhandlungen zu berichten, muss Lindner jetzt in Quarantäne. Und erstmal ist auch fraglich, ob die ganze Delegation inklusive Regierungsflieger damit in Washington festsitzt.
Man ahnt, wie sehr Lindner das in diesem Moment wurmen muss. Sichtbar war, wie wichtig ihm selbst diese Reise ist. Er war bislang in der globalen Doppel-Krise von Corona und Krieg nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit, jedenfalls nicht so, wie er sich das in dem von ihm mit aller Macht angestrebten Amt als Finanzminister erhofft hatte. Robert Habeck und Annalena Baerbock (beide Grüne) sind viel mehr im Scheinwerferlicht, Kanzler Olaf Scholz (SPD) sowieso.
Musterschüler mit Fachwissen
Da kam diese Reise gerade recht. Im neuen A350 der Luftwaffe nimmt Lindner ganz vorne in der First Class Platz. Er genießt das, wie auch den Hintergrund mit den mitreisenden Journalisten im schicken Lounge-Bereich. Es wird ein sehr langes Gespräch, bei dem sich Lindner nur ungern von Turbulenzen über dem Atlantik unterbrechen lässt.
Kaum sind die umflogen, setzt er seine Ausführungen fort. Sie sind gespickt mit allem, was die internationale Finanz-Diplomatie an englischen Fachbegriffen und Abkürzungen zu bieten hat. Selbst FDP-Mitglieder sind da plötzlich "stakeholders". Lindner will zeigen, dass er auf Flughöhe ist. Er wirkt dabei allerdings manchmal wie ein Musterschüler, der anderen imponieren will.
IWF wirkt gelähmt
Am nächsten Morgen in Washington sitzen Lindner und Bundesbankpräsident Joachim Nagel auf einer kathederhaften Bühne im Untergeschoss eines Hotels und berichten über die Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Der hat die Wachstumsraten wegen Russlands Angriffskrieg weltweit erneut nach unten korrigiert, insbesondere auch für Europa.
ZDF-Berlin-Korrespondent Thomas Reichart in Washington zur Frühlingstagung von IWF und Weltbank.
Die Inflation dagegen steigt, was besonders ärmere Länder trifft. Dort werden Lebensmittel teurer, mehr Menschen rutschen in Armut, soziale Unruhe drohen. Eigentlich sind die Taschen des IWF gut gefüllt, um dagegen vorzugehen. Doch der IWF wirkt zunehmend gelähmt. Russland ist Ursache des Problems und behindert gleichzeitig dessen Lösung.
Lindner: Russland keine Bühne bieten
Lindner kündigt an, man werde Russland bei den Gesprächen keine Bühne bieten, seine Propaganda zu verbreiten. "Solchen Versuchen muss entgegengetreten werden", sagt er. Er bemühe sich im Rahmen der G7 um eine gemeinsame Reaktion. Dass das nur zum Teil gelingen wird, zeigt sich später.
Am Ende, beim Rausgehen, seufzt der Bundesbankpräsident einmal tief. Eigentlich seien die Prognosen Anfang des Jahres so vielversprechend gewesen. Aber jetzt, dieser Krieg von Russland, stelle alles auf den Kopf. Völlig unnötig, findet er.
Verhandelt wird ganz in der Nähe, auf der Pennsylvania Avenue, die, wenn man sie weiter runtergeht, zum Weißen Haus führt. Aufgereiht stehen da die Institutionen der Weltwirtschaft, die nun die wirtschaftlichen Folgen von Russlands Krieg abfedern müssten: der Internationale Währungsfonds und die Weltbank. Davor und vor den Luxushotels der Umgebung tiefgekühlte Cadillac-SUV in der Größe von Minibussen und einem Verbrauch, den man sich offenbar nur noch in den USA glaubt, leisten zu können.
Lindner bleibt bei G20-Treffen im Saal
Die neue Weltordnung dieser Doppel-Krise lässt sich auf der Pennsylvania Avenue gut besichtigen. Sie besteht dort aus der Frage, wer wann aus welchem Konferenzsaal rausgeht. Als Russland beim G20-Plenum das Wort ergreifen will, verlassen aus Protest unter anderem US-Finanzministerin Yellen, die Ministerinnen aus Kanada und Großbritannien sowie die Chefin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, den Raum.
Lindner bleibt. Auf Twitter schreibt er: Nicht Demokratien müssten ein G20-Treffen verlassen. "Der Aggressor Russland hätte nicht teilnehmen sollen." Das habe er in der Sitzung auch so gesagt. "Mögen andere ihre Haltung anders zum Ausdruck bringen, wir haben es so gemacht." Es klingt wie eine Rechtfertigung. Auch in Washington wirken die Deutschen wie die Zögerer, die im richtigen Moment nicht den Mut für den klaren Schritt haben.
Am Tag darauf ist dann zumindest so viel klar: Der Regierungsflieger wird mit der Delegation zurück nach Berlin fliegen. Lindner aber wird diesmal nicht vorne sitzen. Er bleibt in Washington in Quarantäne. Beim FDP-Parteitag am Wochenende will er sich digital zuschalten.
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