Krisen-Parteitag der Linken - Wissler will Neuanfang
Krisen-Parteitag der Linken:Wissler will grundlegenden Neuanfang
24.06.2022 | 14:50
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Streit um den Vorsitz, Streit um den Ukraine-Krieg: Die Linke sucht mal wieder Wege aus der Krise. Beim Bundesparteitag wirbt Linken-Chefin Wissler für einen kompletten Neuanfang.
Die Chefin der Linken Janine Wissler hat die Partei angesichts ihres desaströsen Zustandes zu einem grundlegenden Neuanfang aufgerufen. "Unsere Partei, die wir vor 15 Jahren gegründet haben, befindet sich in einer tiefen Krise", sagte Wissler am Freitag auf dem Parteitag in Erfurt. "Wir haben Niederlagen bei der Bundestagswahl und den letzten Landtagswahlen erlebt, zu viele Mitglieder haben die Partei verlassen." Es komme darauf an, die Partei zu verändern.
"Zur Wahrheit gehört auch, dass wir in den letzten Jahren häufiger verloren haben, als es zu verschmerzen gewesen wäre", sagte Wissler vor den Delegierten. Die Partei habe immer wieder den Eindruck hinterlassen, als wären ihr "die Kämpfe untereinander" wichtiger als das Engagement für die Menschen.
Wissler: Ampel lasse viel Platz für linke Politik
"Das müssen wir jetzt kritisch festhalten und vor allem: Das müssen wir ändern." Die Partei werde als zerstritten wahrgenommen und müsse sich fragen, warum sie die Menschen nicht mehr erreiche. Mit Blick auf die aktuelle Politik der Bundesregierung sagte Wissler, die Ampel-Koalition lasse "viel Platz" für eine linke Politik. Die Linke müsse ihre Rolle "als einzige sozialistische Gerechtigkeitspartei" finden.
Die Linke wählt in Erfurt nach den jüngsten Wahlschlappen und der Sexismus-Affäre am Samstag einen neuen Vorstand. Wissler, die in der Sexismus-Affäre unter Druck geraten ist, bewirbt sich erneut für ihr Amt. Die einstige Ko-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow war im April zurückgetreten und hat dies auch mit der Sexismus-Affäre begründet.
Sexismus, Nötigung, Missbrauch – die Vorwürfe gegen die Linkspartei nehmen kein Ende. Der Skandal allein hat schon das Potential, die Partei in den Abgrund zu stürzen.01.05.2022 | 13:43 min
Wagenknecht verlangt personellen Neuanfang
Wissler sieht sich allerdings innerparteilicher Kritik ausgesetzt. Die frühere Fraktionschefin Sahra Wagenknecht hat einen personellen "Neuanfang" verlangt.
Wir haben gerade so viel Sprengkraft in der Partei - ich weiß gar nicht, ob gerade irgendwo mehr Sprengkraft ist.
Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer Die Linke
Vier Kandidatinnen und Kandidaten werden die besten Chancen für einen Platz an der Doppelspitze eingeräumt. Bis auf , die bisherige Parteichefin gehören sie alle nicht zur ersten Reihe dieser Partei, die auf Bundesebene ohnehin nicht mehr viele prominente Gesichter aufzubieten hat.
Als Janine Wisslers Co-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow zurücktrat, hat sie das nicht nur mit den Sexismus-Vorwürfen begründet, sondern auch damit, dass "Erneuerung neue Gesichter braucht". Dass auch Wissler gemeint war, daran bestand kein Zweifel. Janine Wissler (41) aber tritt wieder an und sagt gegenüber ZDFheute: "Ich bin ja erst letztes Jahr als Parteivorsitzende gewählt worden. Ich habe noch viele Ideen und konnte noch vieles in der kurzen Zeit nicht umsetzen." Für Wissler spricht: Sie ist bundesweit bekannt, redegewandt. Sie war zehn Jahre erfolgreich als Fraktionschefin in Hessen. Ihre aussichtsreichste Gegenkandidatin auf dem quotierten Frauenplatz - Heidi Reichinnek - ist bislang blass geblieben. Gegen Wissler spricht: Sie hat als Spitzenkandidatin die 4,9%-Wahlschlappe bei der Bundestagswahl mitzuverantworten. In ihre Zeit als Parteichefin fallen drei verlorene Landtagswahlen. Die Sexismusvorwürfe sind auch mit ihrer Person verknüpft, denn sie betreffen ihren hessischen Landesverband und ihren ehemaligen Lebensgefährten.
Heidi Reichinnek (34) ist seit 2018 Landesvorsitzende in Niedersachsen. Seit September 2021 sitzt sie im Bundestag und ist frauenpolitische Sprecherin der Fraktion. Ihre Kandidatur begründet sie gegenüber ZDFheute damit, dass sie eine Alternative zu Wissler sein will: "Ich habe mich in der Tat relativ spontan entschieden zu kandidieren, weil ich gesagt habe: Wenn wir eine Erneuerung wollen, dann braucht es eben auch neue Köpfe. Das muss dann auch nach außen ausgestrahlt werden. Und deswegen habe ich gedacht: Okay, wenn Janine Wissler wieder kandidiert, dann möchte ich, dass der Parteitag eine andere Wahl hat." Für Reichinnek spricht: Sie ist das "neue Gesicht" der Linken. Sie macht aus der Wahl auf dem quotierten Frauen-Platz eine Wahl mit Alternative: Wer Wissler nicht will, wählt Reichinnek. Sie hat viele Sympathien im linken Jugendverband solid. Gegen Reichinnek spricht: Sie ist seit der Bekanntgabe ihrer Kandidatur blass geblieben. Was sie will, wofür sie steht, ist vielen in der Partei (noch) nicht klar. Die Gegen-Wissler zu sein, ist noch keine Strategie, um eine Partei zu führen.
Martin Schirdewan (46) ist Vorsitzender der Linksfraktion im Europäischen Parlament und Enkel des früheren SED-Politikers Klaus Schirdewan. Schirdewan will die Parteispitze zu einem "strategischen Zentrum" machen. Obwohl im Vorfeld oft von Teamlösung die Rede war und einer Doppel-Kandidatur Wissler-Schirdewan, bleibt Schirdewan gegenüber ZDFheute vage, wen er sich an seiner Seite wünscht: "Der Parteitag hat natürlich die Aufgabe, ein gutes Team an die Spitze der Partei zu wählen, das miteinander arbeiten kann, das vor allem vertrauensvoll miteinander arbeiten kann, das gemeinsame Position entwickelt und diese Position auch gemeinsam nach außen trägt." Für Schirdewan spricht: Er war Spitzenkandidat bei der Europawahl - und Wahlen gewinnen ist in der Linken gerade ein hohes Gut. Er hat den mächtigen Landesverband Thüringen hinter sich. Er ist ein strategischer Kopf. Gegen Schirdewan spricht: Brüssel verleiht ihm eine gewisse Bürgerdistanz. Er ist nicht gut vernetzt mit der Bundestagsfraktion, die aber ein wichtiger Machtfaktor in der Linken ist.
Sören Pellmann (45) ist einer der drei "Lebensretter" der Fraktion (sein Direktmandat in Leipzig hat den Wiedereinzug ins Parlament mit abgesichert). Pellmann gilt als Wagenknecht-nah, wobei er vor dem Parteitag nochmal mehr Distanz zu ihr gesucht hat. Grundsätzlich aber sagt Pellmann, "dass er einen Zugang trotz aller Kritik an der Person Wagenknecht" nicht aufgeben will. Für Pellmann spricht: Er hat in Leipzig einen erfolgreichen Wahlkampf gemacht. Er will die Integration von Wagenknecht in die Partei - Pluspunkt bei denen, die das auch wollen. Er steht für eine linkspopuläre, lebensnahe Politik. Gegen Pellmann spricht: Er ist bundesweit unbekannt. Er will die Integration von Wagenknecht in die Partei - Minuspunkt bei denen, die das nicht wollen. Die jungen, progressiven Parteimitglieder können mit ihm wenig anfangen.
Die Wahl hängt aber nicht nur vom Profil der KandidatInnen ab und ihren Reden auf dem Parteitag, sondern auch davon, welche Dynamik der Machtkampf zwischen den Parteiströmungen entwickelt. Ausgang: völlig offen.
Streit um Positionierung zu Ukraine-Krieg
Heftige Auseinandersetzungen wird es auch über die Haltung zum Krieg in der Ukraine geben. Den Delegierten liegt ein Leitantrag des Parteivorstandes vor, in dem Russland wegen des Ukraine-Kriegs eine "imperialistische Politik" vorgeworfen wird. Eine Gruppe um die frühere Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, die eine Mitschuld des Westens an dem Krieg sieht, verlangt Änderungen des Textes.
Wagenknecht kritisierte in dieser Frage vor dem Parteitag den Parteivorstand um die Parteivorsitzende Janine Wissler. "Wir müssen unser Profil als Partei der sozialen Gerechtigkeit und als Friedenspartei wieder stärken, statt den Grünen nachzulaufen und um Sympathie in Milieus zu werben, in denen Waffenlieferungen und Kriegsrhetorik derzeit en vogue sind", sagte sie den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) vom Freitag. Weiter heißt es:
Es entsetzt mich, dass Teile des Parteivorstands den Leitantrag so verändern wollten, dass sogar die Zustimmung zu völkerrechtswidrigen sogenannten 'Menschenrechtskriegen' möglich werden sollte.
Sahra Wagenknecht
Die Linke sollte "weiterhin unmissverständlich für Diplomatie und die nicht-militärische Lösung von Konflikten werben und den von Russland geführten Krieg gegen die Ukraine ebenso scharf verurteilen wie die völkerrechtswidrigen Kriege der USA und ihrer Verbündeten im Irak, in Afghanistan und anderswo".
Wagenknecht selbst hat ihre Teilnahme in Erfurt kurzfristig abgesagt - aus gesundheitlichen Grünen, wie es heißt, es besteht der Verdacht einer Corona-Infektion.