Er spähte den Wohnsitz des Kasseler Regierungspräsidenten akribisch aus, lernte schießen: Laut Bundesanwaltschaft hat Stephan Ernst den Mord an Walter Lübcke über Jahre geplant.
Der mutmaßliche Mörder des vor einem Jahr getöteten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke soll die Tat über Jahre akribisch geplant haben. Frontal21 liegt die mehr als 300 Seiten starke Anklageschrift gegen den mutmaßlichen Täter Stephan Ernst und den angeklagten Mittäter Markus H. vor.
Lübcke zwei Jahre lang ausgespäht
Laut Bundesanwaltschaft habe Stephan Ernst seit Mai 2017 mehrfach das Haus seines künftigen Opfers ausgespäht. Dabei führte er mal einen Revolver, mal eine Wärmebildkamera mit sich.
Monate vor der Tat formulierte Ernst so genannte Vorsichtsmaßnahmen zur Tatbegehung: "Lange Kontrolle und Beobachtung des Tatorts vor der Tatausführung. An Tatwaffen dürfen keine Haare oder Textilfasern haften, weder von dir noch vom Opfer."
Ernst bestreitet Mord
Das geht aus Unterlagen hervor, die die Ermittler im Haus des mutmaßlichen Täters fanden. Stephan Ernst bestreitet die Tat, hat ein Geständnis widerrufen, schiebt die Schuld auf seinen Kumpanen Markus H. Der Schuss sei nur aus Versehen losgegangen.
Der Mord an Walter Lübcke im Juni 2019 erschüttert Deutschland. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird ein Politiker mutmaßlich von einem Rechtsextremisten ermordet.
Die Bundesanwaltschaft glaubt das nicht. Den wegen Beihilfe zum Mord Mitangeklagten Markus H. habe Ernst zwar nicht über seinen genauen Mordplan informiert. Markus H. habe jedoch geäußert, dass Walter Lübcke "erhängt werden" müsse, so die Anklage.
Mitangeklagter hasst Ausländer
Markus H. brachte Stephan Ernst das Schießen mit scharfen Waffen bei. Eine Zeugin bestätigt laut Anklageschrift das Schießtraining der beiden Beschuldigten auch an Langwaffen und die politisch motivierte Gewaltbereitschaft von Markus H.: Der habe Ausländer als "Dreckspack" bezeichnet und gedroht, er werde sich im Fall einer schweren Erkrankung einen Sprengstoffgürtel basteln und "so viele Kanaken wie möglich mit in den Tod nehmen".
H. soll sich auch Chemikalien zur Sprengstoffherstellung beschafft und Probesprengungen durchgeführt haben. Die Zeugin beschreibt Markus H. als gefühllosen Rechtsextremsten, und dessen Motto gewesen sei: "Wir Deutschen brauchen Waffen."
Flüchtlingsheim-Pläne als Auslöser für Hass auf Lübcke
Auslöser für den Hass auf Lübcke sei ein Flüchtlingsheim in der Nähe von Ernsts Wohnort gewesen, das der Kasseler Regierungspräsident durchgesetzt hatte. Stephan Ernst, Markus H. und weitere Rechte aus dem Umfeld der Kasseler Pegida-Demonstrationen störten eine Bürgerversammlung im Oktober 2015, auf der Lübcke für das Flüchtlingsheim warb. Lübcke wurde mehrfach unterbrochen und sagte damals:
Noch am selben Abend stellte Markus H. das Video mit Lübckes Worten ins Netz. Dort brach eine Hasswelle gegen Walter Lübcke los. Stephan Ernst kommentierte das Video in einer SMS an seine Mutter mit den Worten: "Hallo Mama, schau dir das an! Da siehst du, wie weit sich dieser Abschaum von Volksverrätern von uns entfernt hat." In den Ermittlungsakten heißt es, Stephan Ernst sei auf der Bürgerversammlung klar geworden, dass Lübcke "ein Volksschädling" sei, der "beseitigt werden" müsse.
Ernst: auch andere rechtsextreme Straftaten
Stephan Ernst und Markus H. hatten sich seit den 1990er Jahren in rechtsextremen Kreisen bewegt. Ernst war als junger Erwachsener für einen Bombenanschlag auf ein Flüchtlingsheim und einen Messerangriff auf einen türkischen Imam zu einer mehrjährigen Jugendhaftstrafe verurteilt worden. Zweieinhalb Jahre vor dem Lübcke-Mord stach er auf einen Asylsuchenden vor dem Flüchtlingsheim in Lohfelden ein, das Walter Lübcke durchgesetzt hatte. Auch diese Gewalttat wird Gegenstand des Strafverfahrens gegen Ernst sein, das am 16. Juni vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt/Main beginnt.