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Belagerte ukrainische Stadt : Warum Mariupol so wichtig ist für Russland

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Russische Truppen versuchen die Hafenstadt Mariupol einzunehmen - und machen sie dabei dem Erdboden gleich. Warum ist die Stadt so wichtig für Putins Vormarsch in der Ukraine?

Mariupol, Ukraine, 20.02.2022: Pro-Russische Truppen fahren mit Panzern in der Nähe von Mariupol.
Pro-Russische Panzer befahren die Außengebiete der ukrainischen Stadt Mariupol.
Quelle: reuters

Die ukrainische Hafenstadt Mariupol ist nicht erst seit Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar 2022 unter Beschuss. Der Konflikt um die Stadt mit mehr als 400.000 Einwohnern dauert - wie die Besetzung der Krim und der Donbass-Region - bereits seit 2014 an. Schon damals war auch Mariupol umkämpft.

Doch diese Angriffe sind kein Vergleich zum Ausmaß der Zerstörung, das jetzt über die Stadt am Asowschen Meer gekommen ist: In der seit Wochen von russischen Truppen belagerten Stadt sind nach Angaben der Militärverwaltung mittlerweile "mehr als 80 Prozent der Infrastruktur beschädigt oder zerstört". Die humanitäre Lage dort ist laut der UNO "äußerst ernst", mit "einem kritischen und potenziell lebensbedrohlichen Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten".

Die Lage in der Stadt Mariupol ist dramatisch. Rund 80 Prozent der Infrastruktur sollen beschädigt oder zerstört sein. Präsident Selensky wirft der russischen Armee vor, Fluchtrouten beschossen zu haben.

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Welche Bedeutung hat Mariupol für die russische Invasion?

Mariupol ist von strategischer und auch symbolischer Bedeutung: Die Stadt im Südosten der Ukraine ist die letzte große Hafenstadt am Asowschen Meer unter ukrainischer Kontrolle und ein wichtiger Industriestandort. Sie ist von entscheidender Bedeutung für den Export von Getreide und Stahl aus der Ostukraine. Mariupol ist zudem selbst ein wichtiger Industriestandort: Die beiden Stahlwerke der Stadt decken einen großen Teil des ukrainischen Stahlbedarfs.

Entscheidend für Putin ist aber, dass durch die Einnahme von Mariupol eine direkte Landverbindung zwischen der von Russland besetzten Krim und den separatistischen Regionen im Donbass hergestellt würde. Bis das erreicht ist, wird von der Stadt nicht mehr viel übrigbleiben, meint der Politologe Gerhard Mangott im Gespräch mit ZDFheute:

Natürlich hätte man lieber eine intakte Stadt übernommen, aber die Landbrücke ist so wichtig für die Russen, dass sie auch eine Stadt nehmen, die dem Erdboden gleich gemacht wurde.
Gerhard Mangott, Universität Innsbruck

Futter für die Entnazifizierungs-Propaganda

Die Einnahme von Mariupol wäre für den Kreml ein wichtiger Sieg, um sein Narrativ der "Entnazifizierung" der Ukraine zu untermauern. Seit Beginn der Offensive werden die russischen Angriffe damit gerechtfertigt, die Ukraine würde von Nazis regiert - häufig mit Verweisen auf das Regiment Asow, wie etwa beim Angriff auf die Geburtsklinik von Mariupol vergangene Woche.

Den Kämpfern des Regiment Asow werden neben ihrer rechtsextremen Ideologie zahlreiche Menschenrechtsverstöße und Kriegsverbrechen vorgeworfen. Der US-Kongress hat unter anderem deshalb verfügt, dass keine Waffen aus der amerikanischen Militärhilfe an die Asow-Gruppe gehen dürfen.

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Nach dem Angriff auf eine Klinik in Mariupol verbreitet Russland Erklärungen, die sich gegenseitig widersprechen. Plausibel sind sie alle nicht. Manche dafür höchst zynisch.

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Tatsächlich war die Stadt lange ein Stützpunkt des Asowschen Bataillons. Die Gruppe hatte 2015 mit einer Gegenoffensive maßgeblich dafür gesorgt, dass Mariupol in ukrainischer Hand blieb und nicht in die Hände der prorussischen Separatisten gefallen ist.

"Im russischen Narrativ ist das Asow-Regiment die Verkörperung des Nazitums in der Ukraine", erklärt Mangott. Dennoch sei das Narrativ der Entnazifizierung eine "völlige Fehlinterpretation der russischen Seite", so Mangott.

Braucht Russland den Sieg in Mariupol für die Moral der Soldaten?

Der Verlust von Mariupol wäre für die Ukraine schwer, sowohl militärisch als auch wirtschaftlich. Für die russischen Truppen könnte es dagegen eine erste ernstzunehmende Erfolgsmeldung sein. Berichte über die schlechte Moral der russischen Soldaten gibt es seit Tag Eins des Krieges: Es wurden nachweislich Wehrpflichtige in den Kampf geschickt, manchen wurde mutmaßlich gesagt, sie seien nur Teil einer Übung.

Solche Berichte seien stets mit Vorsicht zu genießen, meint Mangott. Man befinde sich auch in einem Informationskrieg, trotzdem sei "jede eroberte Stadt ein Erfolg und würde die Moral heben".

Ein Sieg in Mariupol würde außerdem die aktuell mit dem Angriff gebundenen russischen Kräfte für den weiteren Vormarsch in Richtung Inland freimachen.

Was bedeutet es für den Kriegsverlauf, wenn Russland die Einnahme nicht gelingt?

Gelingt Russland die Einnahme nicht, muss es sich darauf einstellen, dass der Widerstand auch in anderen Städten - vergleichbar mit der Schlacht um Stalingrad oder der Blockade von Leningrad - ähnlich zäh wird, erklärt Prof. Heinemann-Grüder vom International Centre for Conflict Studies in Bonn. Die Bilder werden dann im Zeitverlauf auch nach Russland durchsickern und möglicherweise Scham auslösen, meint der Politikwissenschaftler:

Russland praktiziert selbst Kriegsverbrechen, deren Abwehr im zweiten Weltkrieg bisher zentral für das offizielle Narrativ war.
Prof. Heinemann-Grüder, International Centre for Conflict Studies, Bonn
Montage: Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj vor einem Blick auf das zerstörte Mariupol

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ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf berichtet von der Lage vor Ort.

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Und auch das Hauptziel Kiew verliere durch die Einnahme von Mariupol nicht an Bedeutung. "Der Krieg hat die Ukraine noch weiter in Richtung des Westens und der Nato gedrängt", meint Mangott. Für Putin hat sich die Bedrohung durch die Ukraine - auch wenn sie nicht wirklich real war - noch vergrößert. Daher könne er sich kaum mit der Besetzung eines Teils des Landes zufriedengeben, wenn eine "Restukraine" unter Kontrolle der ukrainischen Regierung bleibt.

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01.06.2023
von Florian Neuhann
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