Sie saßen wochenlang fest, nun konnten hunderte Soldaten das Stahlwerk in Mariupol verlassen - und sind wohl in russischer Kriegsgefangenschaft. Was passiert jetzt mit ihnen?
Es ist zu einem der Symbole im Ukraine-Krieg geworden: Das Stahlwerk in Mariupol, in dem ukrainische Soldaten wochenlang ausgeharrt haben. Nun konnten hunderte von ihnen das Gelände verlassen - und sind vermutlich in russischer Kriegsgefangenschaft.
Um wie viele ukrainische Soldaten geht es?
Russland sprach am Mittwoch von 959 Kämpfern aus dem Stahlwerk, die sich seit Wochenbeginn ergeben hätten - darunter 80 Verletzte. Von ukrainischer Seite gab es zunächst keine Bestätigung für diese Zahlen. Am Montag und Dienstag hatten beide Seiten noch von gut 260 Soldaten gesprochen, darunter 50 Verletzte, die sich ergeben hatten.
Wie viele Menschen nun noch in dem Stahlwerk sind, ist unklar. Vor Beginn der Evakuierung sollen es Schätzungen zufolge zwischen 1.000 bis 2.500 gewesen sein.
Einige der letzten ukrainischen Kämpfer aus dem belagerten Stahlwerk in Mariupol haben sich ergeben und sind nun in russischer Gefangenschaft.
Wie geht es den ukrainischen Soldaten?
Laut Angaben vom Montag sollen sich die Verletzten im Krankenhaus in Nowoasowsk befinden. Es liegt in der selbst ernannten Volksrepublik Donezk, steht also faktisch unter russischer Kontrolle. Die restlichen Kämpfer sollen in Oleniwka sein, nördlich von Mariupol, das ebenfalls von Russland kontrolliert wird.
Die Ukraine möchte für seine "Helden", wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Soldaten aus dem Stahlwerk nennt, einen Gefangenenaustausch erwirken. Am Dienstagabend sagte er, "die einflussreichsten internationalen Vermittler" seien beteiligt, um weitere Kämpfer aus der Stahlfabrik zu retten.
Russland scheint sich auf einen solchen Austausch nicht einlassen zu wollen. Laut russischen Medien will das Parlament am Mittwoch über eine Resolution gegen einen Austausch der Azovstal-Kämpfer beraten - damit wäre ihre Kriegsgefangenenschaft erst einmal besiegelt.
Was passiert mit den Kriegsgefangenen?
Ein Video, das das russische Verteidigungsministerium am Dienstag veröffentlicht hat, soll einige ukrainische Soldaten aus dem Stahlwerk zeigen, die sich ergeben haben. Sie werden darin nach Waffen abgetastet und in Bussen weggefahren. Explizit wird auch gezeigt, wie neue Verbände angelegt werden. Die Botschaft: Man gehe gut mit den Kriegsgefangenen um.
Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow hatte am Montag angekündigt, dass man jene Soldaten aus dem Stahlwerk, die sich ergeben würden, nach internationalen Rechtsstandards behandeln würde.
Doch daran gibt es Zweifel. Leonid Sluzkij, der für Russland auch als Kriegs-Unterhändler tätig ist, brachte sogar die Todesstrafe ins Spiel. Befürchtet wird, dass diese von einem Tribunal - ähnlich wie bei den Nürnberger Prozessen - verhängt werden könnte. Damals wurden Nazi-Kriegsverbrecher teils zum Tode verurteilt. Der russische Präsident Putin behauptet weiterhin, mit seiner russischen "Spezialoperation" die Ukraine zu "denazifizieren".
Wer saß und sitzt in dem umzingelten Stahlwerk?
Auf dem Werksgelände in Mariupol harrten neben Soldaten auch Zivilisten aus. Frauen, Kinder und Ältere konnten das Werksgelände aber Anfang Mai verlassen.
Unter den Soldaten in dem Stahlwerk sind auch Anhänger des Asow-Regiments. Sie machen einen sehr kleinen Teil der ukrainischen Streitkräfte aus und unterstehen dem ukrainischen Innenministerium. Gegründet wurde das Freiwilligenbataillon von Andrij Bilezkyj, einem rechtsextremen und nationalistischen Politiker.
Auf das Asow-Stahlwerk in Mariupol regnet es Phosphorbomben und hunderte Kämpfer sollen nach wie vor in der umzingelten Industriezone ausharren.
Asow-Anhängern wird der Vorwurf gemacht, dass sie noch immer die Wolfsangel als Symbol benutzen, ein unter Neonazis verbreitetes Zeichen. Insgesamt hat sich die Gruppierung aber von ihren ideologischen Wurzeln gelöst, sagen Beobachter - was auch an ihrer Eingliederung in die regulären Streitkräfte liegen dürfte.
Russland zieht das Asow-Regiment dennoch immer wieder als vermeintlichen Beweis dafür heran, dass angeblich die gesamte Ukraine mit Nazis durchsetzt sei.
Was passiert in Filtrationslagern?
Beide Kriegsparteien haben gegenseitig Gefangene genommen - wie viele, ist nicht klar. Das russische Militär behauptete Anfang Mai, dass fast 1,1 Millionen Menschen seit Kriegsbeginn aus der Ukraine nach Russland gebracht worden seien - angeblich freiwillig. Die ukrainische Regierung schätzt die Zahl auf 1,2 Millionen und spricht von Verschleppung.
In sogenannten Filtrationslagern werden festgenommene Ukrainerinnen und Ukrainer teils brutal befragt. Russland zufolge sollen in den Lagern Kämpfer von Zivilisten getrennt werden. Menschenrechtler befürchten dagegen Willkür und Menschenrechtsvergehen. Ein ukrainisches Mädchen, das ein solches Lager durchlaufen hat, berichtete gegenüber Radio Svoboda:
Was über die Filtrationslager bekannt ist, lesen Sie hier:
- Verschleppung von Ukrainern: Was wir wissen
Mehr als eine Million Ukrainer sollen nach Russland gebracht worden sein - teils gegen ihren Willen. Darauf deuten Augenzeugenberichte hin. Was wir wissen.