Dass ihnen der Friedensnobelpreis viel helfen wird, hat wohl niemand erwartet. Nun haben die Repressionen Moskaus gegen die Menschenrechtsorganisation Memorial weiter zugenommen.
Dass sie Preisträgerin des diesjährigen Friedensnobelpreises ist, hat Memorial gegenüber den russischen Behörden wenig genutzt: Seitdem hätten die Repressionen gegen die älteste Menschenrechtsorganisation Russlands weiter zugenommen, sagt deren geschäftsführende Direktorin Elena Schemkowa in Genf. Für die Mitglieder sei die Auszeichnung dennoch wichtig gewesen: "Sie war ein wichtiges Zeichen der Unterstützung". Sie seien nun umso entschlossener, ihre Arbeit fortzusetzen.
Nachricht aus Stockholm völlig überraschend
Memorial wurde Anfang Oktober gemeinsam mit dem inhaftierten belarussischen Dissidenten Ales Bjaljazki und dem ukrainischen Zentrum für bürgerliche Freiheiten (CCL) für ihren Einsatz für die Menschenrechte mit dem höchsten Friedenspreis ausgezeichnet. Für sie sei das völlig überraschend gewesen, sagt Schemkowa: Als eine Kollegin sie im Taxi anrief und sagte, sie solle sich die Nachrichten anschauen, habe sie gedacht, es sei "etwas Schlimmes" geschehen: "Ich dachte ehrlich, es ist die Atombombe".
- Memorial: Tag mit "gemischten Gefühlen"
Der Friedensnobelpreis geht unter anderem an die Organisation Memorial. Moskau regierte mit der Beschlagnahme ihrer Büros. Mitbegründerin Scherbakowa äußert sich dazu im ZDF.
Schon seit Jahren sieht sich Memorial zunehmendem Druck der Behörden ausgesetzt. Im vergangenen Dezember ordnete Russlands Oberstes Gericht dann die Auflösung der 1989 gegründeten Organisation an - und nur wenige Stunden nach der Verkündung der Friedensnobelpreisträger ließ ein Moskauer Gericht die Zentrale beschlagnahmen.
Wie viele andere führende Memorial-Vertreter meidet auch die 61-Jährige, die zu den Mitgliedern der ersten Stunde gehörte, zurzeit ihre Heimat. Unfreiwillig, wie sie betont: "Ich respektiere die Vorschriften. Ich habe keine Gesetze gebrochen, meine Arbeit ist legal und legitim". Aber sie sei gegen den Krieg, "und das reicht im Moment für strafrechtliche Ermittlungen aus".
Memorial-Mitglieder haben Angst
Schemkowa räumt ein, dass sie und auch die anderen Mitglieder von Memorial um ihre Sicherheit fürchten: Menschen und Institutionen, die sich der offiziellen Sicherheit des Kreml widersetzten, würden massiv verfolgt, und "natürlich haben wir Angst", sagt sie. "Wir sind ganz normale Menschen", "wir sind keine Helden". Und dennoch versuchten sie, "kleine, mutige Schritte zu machen", sagt Schemkowa.
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Ende Oktober verboten die Behörden die traditionelle Gedenkveranstaltung von Memorial für die Opfer Stalins - in 22 Ländern und 77 Städten aber habe die Marathonlesung aller Namen der unter Stalin Ermordeten stattgefunden, sagt die Memorial-Leiterin stolz. Und auch in Russland selbst gebe es weiterhin Ausstellungen, verteidige ihre Organisation weiter "die Rechte der Menschen vor Gericht".
Auf die Frage, was sie von Kreml-Chef Wladimir Putin halte, antwortete Schemkowa, sie mache sich keine Gedanken über ihn: "Er interessiert mich nicht". Sie mache sich vielmehr "Gedanken darüber, wie viele Generationen von Russen, für das, was er getan hat, noch zahlen müssen".
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