Erstmals hat sich Angela Merkel nach dem Ende ihrer Amtszeit geäußert. Sie spricht über Ukraine und Privates. Ihr Biograf sagt: Sie hat Putin früher durchschaut als andere.
Altbundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich seit dem Ende ihrer Amtszeit zum ersten Mal ausführlich in der Öffentlichkeit geäußert. Im Berliner Ensemble sprach sie detailliert über ihr Verhältnis zu Russlands Präsident Wladimir Putin und gab persönliche Einblicke.
Journalist Ralph Bollmann hat eine Biografie über die Altkanzlerin geschrieben. Wie blickt er auf das Interview? Das sagt Bollmann im heute journal update...
[Sehen Sie oben das komplette Interview im Video und lesen Sie es hier in Auszügen]:
...zur Rechtfertigung von Merkels Russlandpolitik:
Sie habe sie "plausibel gerechtfertigt, aus ihrer Sicht", so Bollmann.
Und sie habe für sich selbst das wichtigste Ziel erreicht, einmal darüber gesprochen zu haben und jetzt "mehr oder weniger normal" an der Öffentlichkeit auch wieder teilnehmen zu können.
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...ob Merkel Putin durchschaut habe:
"Das glaube ich schon", sagt Bollmann. "Merkel hat Putin früher durchschaut und kritischer gesehen als andere Politiker", so Bollmann. Er spricht eine "Schlüsselszene" an: Das Treffen von Merkel und Putin in Sotschi zu Beginn der Amtszeit, das Merkel im Interview in Berlin heute noch einmal geschildert hat.
Damals soll Putin gesagt haben, er wolle die Sowjetunion wiederhaben. "Und sie soll gesagt haben, 'Um Gottes Willen, der Untergang der Sowjetunion hat mir persönlich die Freiheit gebracht'. Damit waren die Fronten im Grunde ja klar", so Bollmann.
- Merkel nennt Russlands Angriffskrieg "brutal"
Altkanzlerin Angela Merkel hat den Angriff Russlands auf die Ukraine als "brutalen Überfall" verurteilt. Der Krieg sei ein Einschnitt, der sie auch persönlich bedrücke.
Grade weil sie Russland gut kennt, hat sie immer gewusst, welche Gefahren von Putin auch ausgehen". Aber sie habe immer versucht, damit umzugehen und eine Eskalation zu vermeiden.
...zu Vorwürfen des ukrainischen Botschafters Melnyk, Merkel habe die Appeasement-Politik, die heute alle falsch finden, ermöglicht:
"So pauschal kann man das nicht sagen", sagt Bollmann zu den Vorwürfen. Merkel habe immer zu den Kritischeren im Westen gehört.
Aus Merkels Sicht sei Politik auch immer ein Stück weit ein Spiel auf Zeit, weil sich Konstellationen ändern würden.
Möglicherweise habe Putin auch jetzt zugeschlagen, weil er gedacht habe, mit dem Regierungswechsel in Deutschland und den USA, mit der Wahl in Frankreich, treffe er auf einen Westen, "der nicht so geschlossen und entschlossen ist. Da hat er sich getäuscht".
...zur Frage, ob Nord Stream 2 Merkels größter Fehler gewesen sei:
"Wenn man ihre Russlandpolitik kritisieren will, halte ich die Energieabhängigkeit für den größten Fehler, den sie noch gesteigert hat", so Bollmann. Sie sei ein Stück weit in Zugzwang gewesen durch die deutsche Energiewende. Sie habe unter massivem Druck gestanden durch die deutsche Wirtschaft, auch aus der eigenen Partei. "Ich glaube, da sah sie selber wenig Spielraum für sich."
Er habe es als erstaunlich empfunden, dass diese Frage so offen geblieben sei. "Warum hat sich Deutschland seit 2014/2015 noch abhängiger vom russischen Gas gemacht? Das ist schon eine Frage, die man ihr wirklich stellen muss", sagt Bollmann.