Diskussion vor den Midterms: Streit um Abtreibung in den USA

    Diskussion vor den Midterms:Streit um Abtreibung in den USA

    Jenifer Girke
    von Jenifer Girke
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    Darf eine Frau entscheiden, ob sie ihre Schwangerschaft abbricht? Dürfen Ärzte verurteilt werden, die Abtreibungen vornehmen? Fragen, die die USA spalten – kurz vor den Wahlen.

    Eine Abtreibungsgegnerin und eine Frauenärztin in Kalifornien wollen beide Menschenleben retten – aber ihre Ansichten könnten kaum weiter auseinander liegen. Nachdem im Juni das höchste Gericht der USA das Recht auf Abtreibung kippte, dürfen die Bundesstaaten selbst bestimmen, ob sie Abtreibungen verbieten. 14 von 50 US-Staaten haben bereits Verbote eingeführt – und es sollen wohl noch mehr werden.
    US-Midterms: Kein Recht auf Abtreibung?
    Vor den Midterms in den USA kann das Thema Abtreibungen wahlentscheidend sein. Vor allem, seit der Supreme Court das Recht darauf gekippt hat und zahlreiche Bundesstaaten nun Abtreibungen verbieten.05.10.2022 | 2:33 min

    Abtreibungsgegnerin: "Abtreibung raubt ein menschliches Leben"

    Im demokratisch regierten Kalifornien sind Abtreibungen noch legal. Abtreibungsgegnerin Danielle Versluys will das ändern: "Abtreibung raubt ein menschliches Leben. Deswegen sollte es niemals in einem freiheitsliebenden Land erlaubt sein. Denn es gibt keine Freiheit für das Kind, wenn das Kind getötet wird." Sie ist Mitbegründerin von Stanton Healthcare, einer Organisation, die Abtreibungen weltweit verhindern will.
    Versluys stellt sich regelmäßig mit einer mobilen Praxis auf einen Parkplatz in Victorville vor eine Abtreibungsklinik. "Rücknahme von Abtreibungspillen" ist unter anderem in großer Schrift auf ihrem Wagen zu lesen, der wie ein umgebautes Wohnmobil aussieht.
    Danielle Versluys
    Danielle Versluys klärt Frauen in ihrer mobilen Praxis im lilafarbenen Bus auf.

    Frauen, die möglicherweise für eine Abtreibung hierherkommen, sollen auf ihren lilafarbenen Wagen aufmerksam werden. Hier erhalten Frauen Schwangerschaftstests, Ultraschall-Untersuchungen, Broschüren und Gespräche. Am Ende hat Danielle ein klares Ziel: Die Frauen sollen sich gegen eine Abtreibung entscheiden. Besonders wichtig für sie ist der Moment am Ultraschall:

    Die Frau kann erkennen, dass es ihr Kind ist, das im Mutterleib lebt und sich bewegt. Wir sehen einen Herzschlag auf dem Bildschirm, ein kleines flackerndes Licht.

    Danielle Versluys, Abtreibungsgegnerin

    Versluys erklärt: "Das öffnet ihr die Augen für die Realität und für das, was eine Abtreibung für sie und ihr Kind bedeuten würde."

    Gynäkologin: Politik soll "sich nicht in unser Untersuchungszimmer einmischen"

    Ganz anders sieht das Dr. Pratima Gupta. Sie ist Gynäkologin in San Diego. Sie hilft Frauen bei der Geburt ihrer Babies und führt auch Abtreibungen durch. Eine Abtreibung solle nicht leichtsinnig getroffen werden, aber sie gehöre zu dem Behandlungsspektrum für ihre Patientinnen dazu: "Statistisch gesehen lässt eine von vier Frauen irgendwann in ihrem Leben eine Abtreibung vornehmen. Wir wissen, dass Abtreibung extrem sicher ist. Und es ist wirklich wichtig, sie als einen Teil der Behandlung zu normalisieren."
    Umso gefährlicher empfindet sie die neuen Verbote. Sie befürchtet, dass Abtreibungen dadurch nicht verhindert, sondern nur sehr viel gefährlicher werden. Frauen würden unsichere Alternativen suchen und Ärzt*innen seien nicht mehr in der Lage, sich um die Betroffenen zu kümmern:

    Medizinische Entscheidungen sollten einer Patientin und ihrem vertrauten Arzt wie mir überlassen werden.

    Dr. Pratima Gupta, Gynäkologin

    "Sie sollten nicht von Gesetzgebern getroffen werden, die keine medizinische Ausbildung haben. Sie sollten sich nicht in unser Untersuchungszimmer einmischen, Entscheidungen treffen und mir sagen, wie ich Medizin praktizieren soll", sagt Gupta.
    Gupta
    Gynäkologin Dr. Pratima Gupta ist für ein Selbstbestimmungsrecht von Frauen.

    In Kalifornien gibt es sogar einen sprunghaften Anstieg der Abtreibungen. Denn viele Frauen sind gezwungen, aus anderen US-Staaten hierher zu reisen, in denen Abtreibung verboten ist. Das Mitgefühl hält sich bei Aktivistin Versluys in Grenzen: "Ich finde es fair, dass Frauen eine Reise auf sich nehmen müssen, um etwas zu tun, das ein Menschenleben kostet. Wir sollten es Frauen nicht leicht machen, ein Leben auszulöschen."

    Gupta: "Abtreibungsverbot ist ein Angriff auf Frauenrechte"

    Gupta befürchtet, dass die Verbote von Abtreibungen nur der Anfang seien – auch andere Verhütungsmethoden könnten eingeschränkt werden. Und das wiederum habe einen enormen Einfluss auf die Selbstbestimmtheit und Emanzipation der Frau:

    Das Verbot oder die Einschränkung von Verhütung nimmt dem Einzelnen wirklich die Möglichkeit, eine höhere Bildung anzustreben, eine Arbeit zu finden, von zu Hause weg zu arbeiten.

    Dr. Pratima Gupta, Gynäkologin

    "Das ist wirklich ein schrecklicher Angriff auf Frauen und Frauenrechte und auf jede Person mit einer Gebärmutter, die über ihren eigenen Körper bestimmen will."

    Versluys: "Die beste Verhütung ist eine monogame Beziehung"

    Abtreibungsgegnerin Versluys ist da anderer Meinung: Verhütungsmethoden in den USA seien nicht gefährdet. Dennoch kann sie die siebenfache Mutter nicht wirklich gutheißen und erinnert an die negativen Auswirkungen der Anti-Baby-Pille:

    Die beste Geburtenkontrolle ist es, in einer monogamen Beziehung zu leben, in der man offen für ein Kind ist.

    Danielle Versluys, Abtreibungsgegnerin

    "Aber solange sich Verhütung nicht auf das Leben eines ungeborenen Kindes auswirkt, ist es eine persönliche Entscheidung." Ihr Urteil über Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen – eindeutig: "Ich hoffe für sie, dass sie einen anderen Beruf wählen, denn ihre Seelen gehen an der Entscheidung, Leben auszulöschen, kaputt."
    Gynäkologin Gupta kennt diese Sichtweise. Sie und ihre Kolleg*innen seien in den USA zum Feindbild der Anti-Abtreibungsbewegung geworden. Manche ihrer Patientinnen seien sogar überrascht, wenn sie feststellen, dass Gupta einfühlsam sei. Empathie passe wohl nicht zum Mörder-Klischee.

    Thema Abtreibung hilft den Demokraten

    Ob für oder dagegen – vielen Frauen geht es darum, frei entscheiden zu können. Deswegen stößt das Gerichtsurteil auf viel Wut, besonders in der weiblichen Bevölkerung, beobachtet Politikprofessor John Pitney: "Sie mögen diese Entscheidung nicht. Frauen sind motiviert, zur Wahl zu gehen. Umfragen zeigen, dass dieses Thema die Demokraten weit mehr bewegt als die Republikaner, und das verlagert einen Großteil der Unterstützung von den Republikanern zu den Demokraten. Das ist bei Weitem das Wichtigste bei dieser Wahl."
    Vor den Zwischenwahlen in den USA gibt es einen auffälligen Anstieg bei den Registrierungen von Wählerinnen – das Thema scheint vor allem Frauen an die Wahlurne zu treiben.