Seit Jahren drängt Griechenland Flüchtende ohne Prüfung ihrer Schutzbedürftigkeit rechtswidrig in die Türkei zurück. Einen Syrer aus Deutschland traf es jetzt besonders brutal.
"Ibrahim B." (Name von der Redaktion geändert) lebt seit sieben Jahren in Leipzig, seine Angehörigen sogar doppelt so lang. Der 31-Jährige ist eine "Person mit internationalem Schutzstatus", weil er in Syrien verfolgt wurde und schwer traumatisiert ist.
Bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen hätte er bald Anspruch, seine Einbürgerung zu beantragen. Wäre er nur vergangenes Jahr nicht in den Urlaub nach Griechenland geflogen. Er wollte in der Region Evros einen Verwandten treffen, den er seit seiner Flucht nicht mehr gesehen hatte.
Dokumente eingezogen und in ein Schlauchboot gesetzt
Auf einer Straße in Alexandroupoli konfiszierten griechische Polizisten seine deutschen Dokumente und schafften ihn und seinen Angehörigen ohne Angabe von Gründen in eine Haftunterbringung am Fluss Evros nahe der türkischen Grenze. Kein Essen, kein Zugang zu einem Rechtsanwalt, nur ein Fläschchen Wasser.
Flüchtlinge zwischen allen Fronten
Nach 24 Stunden verfrachteten vermummte Polizeibeamte Ibrahim B. mit 51 weiteren Personen zum Evros. Dort setzten sie je zehn Personen auf ein kleines Schlauchboot und zwangen sie 50 Meter vom türkischen Ufer entfernt ins Wasser.
Pushbacks täglich - Frontex hilft laut EU
Diese illegalen Abschiebungen auf See werden "Pushbacks" genannt. Deren Opfer sind sehr häufig auch Minderjährige und sogar Babys.
Sie verstoßen eklatant gegen europäisches Recht und internationale Konventionen. Und sie finden dennoch täglich mit dem stillen Einverständnis der EU statt - mitunter sogar mit der Hilfe der EU-Grenzschutzagentur Frontex, wie ein Bericht eines Untersuchungsausschusses im EU-Parlament offenlegte.
Menschenrechtsanwälte: Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Ibrahim B. schwamm an Land und gelangte nach Istanbul. Dort meldete er sich bei der Deutschen Botschaft, um neue Papiere für die Heimreise nach Leipzig zu beantragen. Doch dieser Termin ließ auf sich warten, monatelang. Das könne über ein Jahr dauern, erfuhr er, die deutschen Behörden beeilten sich in ähnlichen Fällen meist nur bei deutschen Staatsangehörigen.
In seiner Verzweiflung entschloss Ibrahim B. sich zur zweiten Flucht seines Lebens. Am 24. Dezember 2021 bestieg er in Çeşme mit 78 anderen Flüchtenden ein für Kurzstrecken gebautes Taxiboot, um von der Türkei nach Italien zu gelangen: eine Überfahrt von über tausend Kilometern.
Wegen der gewaltsamen, illegalen Zurückweisungen durch griechische Grenzbeamte wählen immer mehr Flüchtende diese lange und sehr gefährliche Route über das Mittelmeer.
Flüchtlingsboot gekentert - Rettung nach Stunden
An Heiligabend sank das überladene Boot vor der griechischen Insel Paros in den Kykladen. Ibrahim B. konnte nach Stunden im kalten Meer gerettet werden, 16 Passagiere indes überlebten nicht, darunter drei Frauen und ein Baby.
Der Leipziger und 62 weitere Geborgene wurden retraumatisiert nach Paros gebracht und mit dem Notwendigsten gegen die Kälte, den Hunger und Durst versorgt. Die Küstenwache prüfte jedoch nicht ihre Schutzbedürftigkeit, wie es rechtmäßig gewesen wäre, sondern war einzig darauf fixiert, die Schlepper zu identifizieren. Dabei ist bekannt, dass diese sich selten auf derart riskante Reisen begeben und stattdessen Geflüchtete ans Steuer setzen.
Zeitpunkt der Einreisebewilligung ungewiss
Am 27. Dezember wurde Ibrahim B. mit seinen Schicksalsgenossen aufs Festland in eine Abschiebehaftanstalt nahe Athen gebracht. Seither ist er in einer Zelle auf einem Gelände festgesetzt, das wie ein Hochsicherheitstrakt abgesichert ist. Die Versorgung am Ort ist miserabel - außer darauf zu warten, dass etwas passiert, bleibt ihm nichts als Ohnmacht.
Ob und wann seine Odyssee enden wird und er eine Einreisebewilligung bekommt, um nach Hause zurückzukehren, ist bis dato ungeklärt.
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